Seite:De Briefe die ihn nicht erreichten Heyking Elisabeth von.djvu/263

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wie langsam doch die Stunden schleichen in den langen, qualvollen Nächten. Das fortwährende Grübeln, ob es nicht zu verhindern gewesen wäre, wenn ich dort geblieben wäre.

Jetzt weiß ich, warum wir fort sollten: ich sollte gerettet werden, denn ihm ahnte wohl schon damals vieles.

Aber was sollen Welt und Leben ohne Dich? Und wenn Du es tausendmal nicht willst – Du ziehst mich Dir doch nach. Unsichtbare, unzerreißbare Fäden ketten uns aneinander seit Uranfangszeiten. Und ich folge Dir, weiß schon oft kaum, ob ich noch hier bin. Das ist der einzige Trost.

Seitdem ich von Dir getrennt bin, lebe ich ja nur scheinbar hier, eigentlich ganz wo anders. Bei Dir. In jener Stadt wo wir während Deines Lebens zusammen waren und in noch ferneren weiteren Landen. Überall, wo Du hier auf Erden geweilt, haben Dich meine Gedanken begleitet, auf allen Reisen waren sie mit Dir – ich habe durch die Sehnsucht so ganz bei Dir gelebt, daß ich Orte kenne, in denen ich nie gewesen. Endlose Ebenen habe ich mit Dir durchzogen, wilde Felsenpässe habe ich neben Dir überschritten, steile Berge sind wir zusammen emporgeklommen, im Dunkel sagenhafter Tempel habe ich mit Dir gestanden, mit Dir uraltem Weisheitsspruch gelauscht. – Das war mein

Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/263&oldid=- (Version vom 31.7.2018)