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Herzog Maximilian von Baiern und die Kaiserkrone.
Von
Felix Stieve.


Zwei Arten der Geschichtsschreibung sind vorzugsweise im Brauch: die quellenmässig statistische und die construirende. Die erste sucht die Thatsachen mit philologischer, oft äusserst scharfsinniger, aber nicht selten an der Oberfläche haften bleibender Kritik aus den Quellen festzustellen und reiht sie der Zeitfolge nach aneinander, ohne weiter nach ihrem Ursprunge und Zusammenhange zu fragen, als die Antwort in den Quellen ausdrücklich gegeben ist. Die zweite dagegen legt sich die geschichtlichen Entwicklungen und das Wirken der geschichtlichen Persönlichkeiten nach bestimmten, mehr oder minder willkürlich gewählten Gesichtspunkten zurecht und benutzt dabei die Quellen nur insoweit oder nur in dem Sinne, wie es ihrer Auffassung entspricht.

Beide Weisen dürften nicht zu voller Befriedigung des nach lebenswahrer Geschichtskenntniss Lechzenden führen. Die eine dringt nicht in den Kern der Dinge ein und übersieht vor lauter Quellenmässigkeit, dass oft das Wichtigste nicht in den Quellen gesagt wird, dass der Berichterstatter nicht selten die Erzeugnisse seines Denkens oder seiner Einbildungskraft als Thatsachen hinstellt und dass auch ein Zeitgenosse, welcher sehr gut unterrichtet sein könnte, es oft nicht ist und Unwahres erzählt, weil der Trieb, die geschichtliche Wahrheit festzustellen und zu überliefern, in weiten Zeiträumen gefehlt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_040.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2023)