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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

besonders in der Hauptverhandlung als spiritus rector hinter seinem von ihm wohl nicht sonderlich hoch eingeschätzten Untergebenen stand, es gelegentlich nicht verschmäht, zur Erreichung eines guten Zweckes den Tatsachen ein wenig Gewalt anzutun. Im Landtag war eine Interpellation eingebracht worden, in der eine vielfach im Lande empfundene Unzufriedenheit mit der Führung des Prozesses zum Ausdruck kam. Der Oberstaatsanwalt, der zugleich Ministerialrat war, äußerte dazu unter anderem: es sei gänzlich unangebracht, mit einem Menschen Sympathie zu haben, der unter der Anklage eines so schweren Verbrechens in Ananas und Sekt geschwelgt und Maupassant gelesen habe. Die Logik dieser Bemerkung ist anfechtbar. Denn auch ein Untersuchungsgefangener, der in Ananas und Sekt schwelgte und Maupassant las, hätte dadurch immer noch nicht den Anspruch verwirkt auf gerechte und unparteiische Behandlung – sogar von seiten der Staatsanwaltschaft. Aber nicht der Mangel an Logik empörte mich, sondern der Mangel an Wahrheitsliebe. Ich hatte mir das eine oder andere Mal Erdbeeren gekauft, und unter den Büchern, die ich aus der Leihbibliothek erhalten, waren auch einige Novellen von Maupassant gewesen. So weit die Tatsachen; der Sekt war Zutat des Herrn Oberstaatsanwalts. Ich vermute, daß er Maupassant nur kannte aus den schlechten, wie Schundlektüre wirkenden Übersetzungen, den auf den Bahnhöfen als pikante Reiselektüre zum Verkauf gestellten Bändchen mit den verlockenden Umschlagbildern. Denn wenn er auch nur eine einzige Novelle im Original gelesen hätte, so würde die Bemerkung seinem Kunstverständnis ein schlechtes Zeugnis ausstellen.

Der zweite psychiatrische Sachverständige, Professor Aschaffenburg aus Köln, stattete mir im Gefängnis mehrere Besuche ab. In längeren Unterredungen suchte er sich über meine geistige Beschaffenheit klar zu werden. Daß der Paragraph 51 nicht in Frage kam, konnte er leicht feststellen. Aber aus einigen Andeutungen, die er machte, hatte ich den Eindruck, als sei er von meiner Schuld nicht so felsenfest überzeugt, wie das sonst gang und gäbe war. Das berührte mich

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/108&oldid=- (Version vom 31.7.2018)