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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

hinter sich Schritte, Männerschritte. Umgesehen hätten sie sich nicht. Wohl aber seien sie etwas schneller gegangen, weil ihnen die Sache nicht ganz geheuer vorgekommen sei. Kurz nachdem sie der Frau v. R. begegnet, kamen die Schritte hinter ihnen rasch näher, und plötzlich fiel der Schuß. Die Mutter sei sofort tot neben ihr zusammengebrochen. Jetzt erst habe sie sich umgewandt und gerade noch gesehen, wie die Gestalt in die Lindenstaffeln einbog. Darauf habe sie um Hilfe gerufen.

Die Theorie des Staatsanwalts war, daß ich nach dem Telephongespräch mich in die Nähe der Lindenstaffeln begeben und dort in einem Hinterhalt versteckt hatte, bis die Damen vorüber waren. Dann sei ich hinterhergeeilt und hätte den Schuß abgegeben. Aber das stimmte nicht mit dem, was Frau v. R. ausgesagt hatte. Sie hatte, als sie zum Briefkasten hinunterging, mich oberhalb der Lindenstaffeln mit großen Schritten bergan eilen sehen, und bis sie später auf dem Rückweg den Damen Molitor begegnete, waren etwa fünf Minuten verstrichen, während deren ich bis zur Villa Molitor gelangt sein mußte, falls ich das Tempo beibehielt. Nahm man aber an, daß ich das Tempo nicht beibehielt, sondern haltmachte, über ein Gitter kletterte und mich in einem der Villengärten versteckte, bis die Damen vorüber waren, dann wieder über das Gitter kletterte und ihnen nacheilte, so hätte ich, ebenso wie der unbekannte Österreicher, von der Frau v. R. gesehen werden müssen. Die Aussage meiner Schwägerin ließ keinen Zweifel darüber, daß der Täter längere Zeit hinter den Damen hergegangen war. Wäre ich hinter dem Österreicher gekommen, so hätte ich an ihm vorbeigehen müssen, um mich den Damen zu nähern, und er hätte Zeuge der Tat sein müssen. War es glaublich, daß ich den Mord vor den Augen eines Dritten begangen hatte?

Nun war noch die Annahme möglich, daß ich den Schuß aus dem Hinterhalt abgegeben hatte, unsichtbar sowohl für die Damen wie für den hinter ihnen kommenden Österreicher; man hätte dann

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/118&oldid=- (Version vom 31.7.2018)