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Und nun sitze ich auf hartem Stuhl in meinem unwirtlichen Gemach, und es dünkt mir, ein seliger Traum gewesen zu sein, daß ich in einem blauen, fliederdurchdufteten Boudoir, vor dem sprühenden Feuer eines Alabasterkamins geweilt habe, das vollendetste Geschöpf, das aus Gottes Hand je hervorging, mir gegenüber!

Ich bin ein zufriedener Mensch gewesen; mein brennender Ehrgeiz ließ mich vergessen, daß ich ihm Vaterland und Heimat geopfert habe, er verschloß mir die Augen vor meinem eigenen Elend. Seit ich Sie kenne – ach, erst seit gestern kenne ich Sie ganz – fühle ich meine schreckliche Armut, meine grenzenlose Verlassenheit.

O, warum weckten Sie mit Ihrer weichen Stimme, die so verständnisvoll von Werthers Leiden sprach, den Menschen in mir auf? Nun möchte ich Ihnen die Wunden des eigenen Herzens enthüllen, um Ihre Stimme um meinetwillen zittern zu hören!

Und warum streichelte Ihre weiße Hand das kleine Buch; – wenn ich es in der meinen halte, spüre ich Ihren Zauber, wenn ich die Lippen daraufpresse, wird meine Sehnsucht zu einer Furie, vor deren Streichen ich nur eine Zuflucht weiß: Sie!

Haben Sie Erbarmen mit einem Rasenden! Bettelarm stehe ich vor Ihnen, und doch können Sie den Reichtum nicht ermessen, den ich Ihnen zu Füßen lege: die Menschen verschenken ihr Herz stückweise, – den Freunden, den Geschwistern,

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/123&oldid=- (Version vom 31.7.2018)