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Heute, holde Frau, wo die Freude über das Glück Ihrer Genesung mir jede Zurückhaltung unmöglich macht, können Sie mich nicht hindern, Ihnen zu sagen: wären Sie gestorben, auch ich lebte nicht mehr.


Johann von Altenau an Delphine.
Paris, den 3. November 1778.


Den grauen Novembernebel, der heute noch schwer auf meinem Herzen lag, hat Ihr Atem weggeweht, teuerste Marquise. Ein Blick in Ihr Antlitz zeigte mir, was ich Ihren Versicherungen nicht glauben wollte: nicht nur die Wunde auf Ihrer Stirne heilt, sondern auch die Ihres Innern. Ich vermag Sie mit meinen Zweifeln nicht mehr zu quälen, seit ich Sie wiedersah –, so wiedersah: schlank und blaß, zwei Augen wie glühende Kohlen unter der weißen Stirn mit der schmalen roten Narbe, um die sehnsüchtig geöffneten Lippen ein süßes Lächeln, der Körper, der noch matt in der Causeuse lag, in weiße Seide gehüllt, und die ganze Gestalt vom Feuer des Kamins übergossen. „Er sagt, der Knabe wird gesund“, flüsterten Sie und streckten mir beide Hände entgegen, „dann werde ich frei sein, ganz frei – für ein neues Leben!“

Sie sind wie ein gläubiges Kind. Wer hätte den grausamen Mut, ihm zu sagen: Der Gott, zu dem du betest, existiert nicht! Ich will von nun


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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/248&oldid=- (Version vom 31.7.2018)