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Lucien Gaillard an Delphine.
Paris, den 11. Oktober 1786.


Verehrte Frau Marquise. Mit Freuden erfülle ich Ihren Wunsch, von dem ich nur bedaure, daß er sich so leicht erfüllen läßt. Sie werden stets im Besitz meiner Adresse sein, auch wenn sie noch so häufig wechselt. Meine Feder von der kein Geringerer, als der Polizeileutnant Lenoir behauptete, daß sie mit Gift statt mit Tinte schreibt, wird mich während der Notabelnversammlung zwingen, im Dunkeln zu bleiben. Selbst von meinen Gesinnungsgenossen verstehen nur wenige mein Entzücken über die Aussicht auf das Ereignis des nächsten Jahres.

Die Notabeln, die das naive Volk immer noch durch den Glanz ihres Auftretens und die gewandte Form ihres Benehmens zu blenden verstehen, werden jetzt vor aller Welt gezwungen sein, auch den Blindesten Einblick in ihr Innerstes zu gewähren. Man wird ihre Selbstsucht erkennen, die auch ihre guten Handlungen regiert.

Ihre Wohltaten sind Opium für das Volk; ihre Königstreue ist das Mittel, ihnen die reichsten Pfründen zu sichern, ihr Stolz die Maske für ihre innere Leere!

Nur unter den Frauen gibt es Ausnahmen. Durch die schönste und bitterste Erfahrung meines Lebens weiß ich es: eine gibt es, die alle Tugenden und

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/418&oldid=- (Version vom 31.7.2018)