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ihre kleinen Köpfe vor. Wenn sie aber einander berühren, so verbeugen sie sich tief und bitten um Verzeihung: »Es tut mir sehr leid, — es geschah ohne Absicht — das Gedränge ist groß, verzeihen Sie, ich bitte — es war sehr ungeschickt von mir — ich gebe das zu. Mein Name ist — mein Name ist Jerome Faroche, Gewürzkrämer bin ich in der rue du Cabotin — gestatten Sie, daß ich Sie für morgen zum Mittagessen einlade — auch meine Frau würde so große Freude haben.« So reden sie, während doch die Gasse betäubt ist und der Rauch der Schornsteine zwischen die Häuser fällt. So ist es doch. Und wäre es möglich, daß da einmal auf einem belebten Boulevard eines vornehmen Viertels zwei Wagen halten. Diener öffnen ernst die Türen. Acht edle sibirische Wolfshunde tänzeln hinunter und jagen bellend über die Fahrbahn in Sprüngen. Und da sagt man, daß es verkleidete junge Pariser Stutzer sind.«

Er hatte die Augen fast geschlossen. Als ich schwieg, steckte er beide Hände in den Mund und riß am Unterkiefer. Sein Kleid war ganz beschmutzt. Man hatte ihn vielleicht aus einer Weinstube hinausgeworfen und er war darüber noch nicht im Klaren.

Es war vielleicht diese kleine, ganz ruhige Pause zwischen Tag und Nacht, wo uns der Kopf, ohne daß wir es erwarten, im Genicke hängt und wo alles, ohne daß wir es merken, still steht, da wir es nicht betrachten, und dann verschwindet. Während wir mit gebogenem Leib allein bleiben, uns dann umschaun, aber nichts mehr sehn, auch keinen Widerstand der Luft mehr fühlen, aber innerlich uns an der Erinnerung halten, daß in gewissem Abstand von uns Häuser stehn mit Dächern und glücklicherweise eckigen Schornsteinen, durch die das Dunkel in die Häuser fließt, durch die Dachkammern in die verschiedenartigen Zimmer. Und es ist ein Glück, daß morgen ein Tag sein wird, an dem, so unglaublich es ist, man alles wird sehen können.

Da riß der Betrunkene seine Augenbraunen hoch, so daß zwischen ihnen und den Augen ein Glanz entstand und erklärte in Absätzen: »Das ist so nämlich — ich bin nämlich schläfrig, daher werde ich schlafen gehn. — Ich habe nämlich einen Schwager am Wenzelsplatz — dorthin geh ich, denn dort wohne ich, denn dort habe ich mein Bett. — Ich geh jetzt. — Ich weiß nämlich nur nicht, wie er heißt und wo er wohnt — mir scheint, das habe ich vergessen — aber das macht nichts, denn ich weiß ja nicht einmal, ob ich überhaupt einen Schwager habe. — Jetzt gehe ich nämlich. — Glauben Sie, daß ich ihn finden werde?«

Darauf sagte ich ohne Bedenken: »Das ist sicher. Aber Sie kommen aus der Fremde und Ihre Dienerschaft ist zufällig nicht bei Ihnen. Gestatten Sie, daß ich Sie führe«.

Er antwortete nicht. Da reichte ich ihm meinen Arm, damit er sich einhänge.

Empfohlene Zitierweise:
Franz Kafka: Gespräch mit dem Betrunkenen. In: Hyperion. Eine Zweimonatsschrift, herausgegeben von Franz Blei und Carl Weber, München 1909, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kafka_Gespr%C3%A4che_133.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)