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und Schneemänner bauten. Ich durfte nur selten hinaus. Von klein an war ich Halsentzündungen ausgesetzt gewesen, und meine Mutter ließ mich, ebenso pflichttreu wie gedankenlos, bei kaltem Wetter nur ins Freie, wenn es völlig windstill war. Aber auch dann wurde ich dick verpackt und durfte nicht laufen wie die andern. Das ließ mich noch mehr vereinsamen. Mir ist, als hätte ich die Winter stets verschlafen, so wenig weiß ich von ihnen. Vom Frühling aber und vom Sommer weiß ich um so mehr. Wir hatten einen großen Garten hinter dem Hause mit alten Bäumen, blühenden Büschen und bunten Blumen. Hier war mein Reich. Hier durfte ich ungestört umherspringen, mir Höhlen bauen, die zu unterirdischen Schätzen führten, auf der Schaukel bis zu den Wolken fliegen, die im Grunde gar keine Wolken, sondern Drachen und Zaubervögel waren. Hier konnte ich mit meinen Bällen, die alle Märchennamen trugen, geheimnisvolle Zwiesprach halten, so daß die Nachbarn oft meinten, ich hätte Scharen von Gespielen im Garten. Puck, unser alter Pinscher, dem zwei Feldzüge schon die Haare gebleicht hatten, mußte sich hier zu jugendlichen Sprüngen bequemen, war er doch das Flügelpferd, das mich ins Zauberland tragen sollte.

Ich war den größten Teil des Tages mir selbst überlassen. Mademoiselle war froh, wenn sie den Mund nicht aufzutun brauchte und mit ihrer unendlichen Häkelei friedfertig auf dem Sofa sitzen konnte. Papa war den ganzen Vormittag auf dem Bureau des Generalkommandos tätig, nachmittags ritt er mit Mama spazieren und arbeitete dann allein bis zum Abend.

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/036&oldid=- (Version vom 31.7.2018)