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– du weißt, wie ich so was liebe! –, bleichsüchtig, eine Figur wie ein wohlgehobeltes Brett.“ Ich spürte mit heimlicher Freude den raschen Blick, der zu mir herüberflog. „Die Ebenbürtigen mit dem nötigen Mammon laufen nicht zu Dutzenden in der Welt herum. Und eine Ebenbürtige muß es sein, Mama träumt doch ständig, daß ihrem Einzigen Vetter Georgs Krone eines schönen Tages auf den Dickkopf fällt! Eine Reiche natürlich auch, – du weißt ja, in wie schmerzlichen Widerspruch unser Portemonnaie zu dem Glanz unseres Namens steht!“

„Und du?“

„Ich wünsche ihm ein langes Leben, eine tüchtige Frau und ein Dutzend Jungens! Zum Regieren hab ich kein Talent, und zum Heiraten am allerwenigsten. Das weiß ich eigentlich erst seit gestern. In der Stickluft Berlins, angesichts des versammelten Familienrats war ich ganz klein. Aber wie ich gestern von dir ging, bin ich noch bis in die Nacht hinein in den Bergen herumgeklettert und habe mir einen ordentlichen Gletscherwind um die Nase pfeifen lassen. Heute weiß ich: es geht nicht – mögen sie mich meinetwegen zu den Insterkosaken versetzen, ich kann die Ebenbürtige nicht heiraten.“

Er wandte mir den Rücken und sah in den Regen hinaus.

„Ich kann nicht“ – wiederholte er leise, „ich muß Eine haben, die ich liebe –“

Es war ganz still zwischen uns. Nur die Uhr tickte laut und heftig.

„Ich möchte hier bleiben, Alix,“ sagte er nach einer

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/274&oldid=- (Version vom 31.7.2018)