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Merkwürdig scheu wichen mir auf dem Heimweg unsere Offiziere aus. Kurz vor Minden traf ich Hessenstein, den ich anrief. „Was ist geschehen?“ frug ich verängstigt.

„Es soll einen bösen Auftritt gegeben haben,“ antwortete er. „Auf die Mitteilung, daß er geschlagen sei, ist Ihr Herr Vater in helle Wut geraten. ‚Sie sind wohl des Teufels‘, soll er geschrien haben, ‚ihre ganze Kavallerie ist ja vernichtet‘. Alle, die ich sprach, geben ihm übrigens Recht. Der Sturm auf Nordhemmern und Holzhausen hätte zweifellos seinen Sieg gesichert, wenn er nicht abgebrochen worden wäre.“

Wir reisten noch an demselben Tage nach Münster zurück und erwarteten dort meinen Vater. Er war ruhiger, als ich gefürchtet hatte, und erwog mit solcher Sicherheit die Aussichten auf ein Armeekorps, daß wir selbst kaum mehr daran zu zweifeln vermochten.

Als der nahende Karneval uns grade wieder an die geselligen „Pflichten“ zu erinnern begann, starb die alte Kaiserin Augusta, und es war für diesen Winter mit Spiel und Tanz vorbei. Nichts hätte mich mehr befriedigen können. Nun konnte ich mich ungestört der Aufgabe widmen, deren Erfüllung ein neues Leben einleiten sollte.

Das kleine Buch, das ich in Hohenlimburg zu schreiben begonnen hatte, enthielt die Skizzen, aus denen ich ein Gemälde schaffen wollte, so stark an Farben, so lebendig an Gestalten, daß in Zukunft niemand daran würde vorübergehen können. Aber so rasch jener erste Entwurf entstanden war, so langsam gings mit der neuen Arbeit. Ich entdeckte Lücken in meiner Bildung, die durch die

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/430&oldid=- (Version vom 31.7.2018)