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Anhänger schutzlos preisgegeben habe, und daß ich dafür nur eine Antwort hätte: ihm von nun an fern zu bleiben, und einen anderen an meine Kusine Mathilde, durch den ich sie bat, mich so rasch wie möglich zu sich einzuladen, da ich Berlin auf einige Zeit verlassen müsse. In aller Frühe steckte ich beide in den Kasten und ging zu Glyzcinski. Als ich bei ihm eintrat, in dies stille, vertraute Zimmer voll Licht und Frieden und Vogelgezwitscher, überfiel mich ein Schwindel, – sekundenlang lehnte ich mit fest auf das Herz gepreßten Händen an der Türe. Er hatte sich krampfhaft aufgerichtet und starrte mich an, die Augen angstvoll aufgerissen, die Züge leichenfahl. Und dann hielt er meine Hand in der seinen und ließ sie nicht los, so lange ich erzählte.

„Meine liebes, armes Schwesterchen!“ sagte er immer wieder. „Aber es mußte einmal so kommen, – Sie werden sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß schließlich ein Bruch zwischen Ihnen und den Ihren unvermeidlich ist.“ Ich ließ mutlos den Kopf sinken. „Dann erst werden Sie leisten können, was Sie zu leisten berufen sind.“

Ich sprach von meiner Absicht, abzureisen. Es legte sich wie ein Schleier über seine Augen, und ein fast unmerkliches Zucken ging durch seinen Körper. „Aber ich bleibe ohne Besinnen, wenn es Ihnen lieber ist,“ fügte ich rasch hinzu. Er lächelte gezwungen: „Mir scheint es freilich fast unmöglich, Sie zu missen, – aber gehen Sie – gehen Sie nur! Wie könnt’ ich verlangen, daß Sie mir ein Opfer bringen?!“ …

Ein Opfer?! schoß es mir durch den Kopf, – ist

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/536&oldid=- (Version vom 31.7.2018)