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immer Stand zu halten. Wer zu sehen gelernt hat, dem enthüllen sie ihre Blößen, daß es einem beinahe wehe tut.

Wir gingen vom Bahnhof durch den Wald bis zu dem kleinen Wirtshaus am See. Warum hatte nur unser Dichter solch glänzend-schwarzen Bart und so geistreiche Augen – so fleischige Finger und eine so starke Männerhand? Auch hier war eine Disharmonie, die schmerzte. Wie ein Stück dieser märkischen Natur selbst schritt dagegen der andere, mir noch völlig fremde, neben uns, ein Mann aus einem Guß, bei dem alles zueinander paßte.

Ein Gewitter stand drohend am Himmel, als Sindelmann zu lesen begann, und Blitz und Donner begleiteten die sich entwickelnde Katastrophe. Rasch war ich wieder im Bann des Werkes. Das war ja alles mein eigenes Erleben: wie dieser Maria die Heimat zur Fremde wurde, in der die Menschen eine unverständliche Sprache sprechen, wie sie sich selbst retten muß vor den Schlingen, die die Heimat wieder nach ihrer Freiheit auswirft. Und ich war es selbst, die sprach: „Es muß klar werden zwischen der Heimat und mir!“

Der Beifall in dem kleinen Kreis der Zuhörer war groß. Daß man jede Szene stundenlang unter dem Gesichtspunkt der Bühnenwirksamkeit besprach, verletzte mich freilich. Erst auf dem Rückweg zur Bahn fing man an, die Tendenz des Stückes zu erörtern.

„Daß das individualistische Prinzip darin zu so starkem Ausdruck kommt, befriedigt mich ganz besonders,“ sagte einer.

„Diese Maria ist die Personifizierung der Idee

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/568&oldid=- (Version vom 31.7.2018)