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„Du erlaubst, daß ich mich entferne –“ unterbrach ich den Tobenden und ging hinaus.

Am nächsten Morgen kam er mir entgegen: ganz blaß, mit überwachten, müden Augen. „Höre auf deinen alten Vater, mein Kind, der es gut mit dir meint, – du bist auf falschem Wege, – schneide dir nicht die Rückkehr ab, indem du dich öffentlich engagierst!“

„Laß mir Zeit zum Überlegen, lieber Vater,“ bat ich stockend, innerlich fast schon überwunden; nur bei Glyzcinski wollte ich mir noch Rats erholen.

„Geben Sie nach, – für diesmal noch!“ sagte er, „das geringste Maß von Schmerz sollen wir anderen zufügen. Und am schönsten ists, wenn der Gegner sich uns aus Überzeugung schließlich selbst ergibt.“

Meinen Vater überwältigte fast die Rührung, als ich ihm sagte, daß ich mich seinem Wunsche fügen wolle. Er ging selbst zum Professor und unterhielt sich ruhig und eingehend mit ihm, „wie ein vollendeter Ethiker.“ Dann mußt ich mit ihm in die Stadt, um mir ein Kleid auszusuchen: „Ich will nicht, daß du durch die ewige Näherei in der Arbeit gestört wirst, die dir am Herzen liegt!“

Es dauerte jedoch nicht lange, und ich fühlte, daß es nur eines geringfügigen Anlasses bedurfte, um einen neuen Sturm heraufzubeschwören.

Ich schwebte in ständiger Angst. Schon der Tritt meines Vaters auf der Treppe machte mich zittern, und möglichst leise verließ ich nachmittags das Haus, um erst dann erleichtert aufzuatmen, wenn die Tür von Glyzcinskis Studierstube sich hinter mir schloß.

„Jetzt müßt’ ich Sie pflegen können, wie Sie mich,“

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/574&oldid=- (Version vom 31.7.2018)