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den dunkelsten Winkel verkriechen – Verleumdungssucht, Ehrgeiz, Neid – und sie Ihrer Frau um so zähnefletschender an die Gurgel springen …“

Ich sah ihm fest in die Augen: „Sie würden so nicht sprechen, wenn Sie nicht gewichtige Gründe hätten. – Trotzdem: ich will – ich darf nicht Ihrer Ansicht sein! Auf meinem Glauben an die Menschen beruht meine Kraft.“

Er nagte nervös an der Unterlippe. „Glauben Sie an die Sache, – das wäre besser für Sie und uns!“

Frau Vanselows Besuch unterbrach unser Gespräch. Sie hatte nicht Worte genug, um die Größe meines Erfolgs zu schildern. „Und nun dürfen Sie sich uns nicht mehr entziehen,“ sie richtete ihre feucht gewordenen Augen mit einem Ausdruck zärtlichen Flehens auf mich, „sie müssen ihren Vortrag in unserem Verein wiederholen!“

„Nein, verehrte Frau!“ Meine Energie ließ mich fast erschrecken. „Ich wiederhole weder diesen Vortrag, noch spreche ich vor Vereinsmitgliedern. Veranstalten Sie eine Volksversammlung! Wir müssen die gewinnen, die noch nicht die unseren sind, – wir müssen vor der breitesten Öffentlichkeit die Forderung des Frauenstimmrechts erheben!“

Sie starrte mich entgeistert an: „Eine Volksversammlung?! Aber das ist ja – das ist ja – sozialdemokratisch!“ Es bedurfte jedoch nur eines kurzen Zuredens, an dem Georg sich lebhaft beteiligte, um sie zu gewinnen.

„Sie haben ganz und gar meine Ansicht ausgesprochen, mein teuerster Herr Professor, und der Verein Frauenrecht wird es sich nicht entgehen lassen, auch in diesem Fall an der Spitze zu schreiten! – Aber nicht wahr

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/617&oldid=- (Version vom 31.7.2018)