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er sein Gesicht, – gegen meine Brust pochte sein Herz in wilden Schlägen.

Er hatte keine Ruhe mehr vor dem Schreibtisch, ich mußte ihn auf und ab fahren; der Husten nahm zu, und jedesmal, wenn er den armen Körper schüttelte, verzogen sich schmerzhaft die Züge. Ich schickte zum Arzt. Er untersuchte ihn und lächelte beruhigend, als Georgs Blick in angstvoller Frage den seinen suchte.

„Eine Erkältung. Halten Sie sich hübsch ruhig, – dann ists bald vorbei.“

In der Nacht stieg das Fieber. Er ließ meine Hand nicht los. Von Zeit zu Zeit sah er mich flehend an, und flüsterte kaum hörbar: „Küsse mich!“

Ich wich nicht von seiner Seite, drei Tage und drei Nächte lang.

„Sie müssen Hilfe haben,“ – sagte schließlich der Arzt. Ich schüttelte nur den Kopf. Am Nachmittag des vierten Tages schien des Fieber zu sinken. Die Augen wurden wieder klar.

„Ich habe mit dir zu sprechen, meine Alix,“ begann der Kranke mit ruhiger, fester Stimme. „Es geht zu Ende mit mir, – weine nicht, Kindchen, – bitte, weine nicht! – Ich habe, glaube ich, meine Schuldigkeit getan –; was ich ungetan ließ, – du, du wirst es vollenden! – – Du wirst mir treu sein, – im höchsten Sinne treu –“ fassungslos brach ich neben ihm zusammen – seine Hände lagen auf meinem Kopf – „über alles in der Welt habe ich dich geliebt –.“ Nur wie ein Hauch kamen die Worte über seine Lippen – „zum Paradiese hast du mir das Leben gemacht, – hab Dank, – Dank –.“ Ich verlor die Besinnung –

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/652&oldid=- (Version vom 31.7.2018)