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Nächten, – „ich werde ihnen von da an eine Gestorbene sein!“

All das war mir nicht einmal schwer geworden, solange ich zu Hause in meinen einsamen Räumen war. Losgelöst fühlte ich mich schon von aller Vergangenheit: Zu den Eltern zurückkehren sollte ich, hatten Vater und Mutter in sorgender Liebe gemeint, – so wenig wußten sie von mir! Großmamas Heim im Schloß von Pirgallen hatte mir Onkel Walter als Ruhesitz angeboten, – so wenig ahnten sie, daß ich nicht ruhen durfte!

Nur Martha Bartels hatte mich verstehen gelernt, während sie mir in den schwersten Tagen der ersten Einsamkeit viele Arbeitsstunden opferte.

„Sie werden uns eine liebe Genossin sein –“ hatte sie gesagt.

Eine Genossin! – Keines Menschen Geliebte, keines Kindes Mutter, – eine Gefährtin nur der Elenden und der Verfolgten. Es war fast ein Gefühl von Freude gewesen, mit dem ich Abschied genommen hatte.

Und nun wurde es mir auf einmal so bitter schwer!

O du Sommertag über den Bergen, wie wunderschön bist du!

Es liegt in der Luft wie eine große Sehnsucht, – und jubelnde Erfüllung zwitschern die Vögel und duften die Blumen. In den Sonnenstrahlen glüht jedes Blatt wie Gold, blutrot färben sich zur Abendstunde die grauen Felsen. Und ein ganzer, großer Korb blühender Alpenrosen steht vor mir. – Ich will die Augen schließen, will das prangende Leben nicht sehen, – aber dann schleicht auf unhörbar linden Sohlen die Erinnerung in meine Träume … Hier begegnete mir vor Zeiten das Glück …

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/655&oldid=- (Version vom 31.7.2018)