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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

Waren etwa die kleinen Leidenschaften, welche den Haufen der Menschen regieren, den Alten unbekannt? Nein! die menschliche Natur ist sich selbst ewig gleich, und an ihren Gesezen gehen Jahrtausende vorbei ohne sie zu erschüttern. Die psichologischen Erfahrungen an den Individuen, sie mögen uns den Menschen bewundernswürdig oder lächerlich machen, konnten vor dreitausend Jahren um kein Haar anders ausfallen, als heute. Die Quintessenz von Staub war nie Quintessenz von Aether; und wenn man die Menschen alter und neuer Zeiten gegen einander hält, findet man hier Größe wie dort, dort Kleinheit wie hier. So viel ist also gewis: Der Abfall unserer Zeiten gegen die alten besteht nicht in dem Unterschied einzelner Menschen; aber der allgemeine Geist von Größe, der Griechenland und Rom beseelte, und von da aus den übrigen Erdboden beleuchtete, war dieser unzertrennlich an die alte Form der Welt gekettet? ist er zugleich mit ihr verschwunden, um nun in den antiquarischen Kompilationen allein noch ein schwaches Nachbild seines ehemaligen Daseyns zu hinterlassen? Wir sehen große Menschen, edle Menschen unter uns noch aufstehen; aber ist Größe, ist Edelmuth Geist unsrer Nationen? Oder einfacher zu fragen: giebt es noch heutzutage Nationen die Einen Geist haben? Ehemals gab es ganze Staaten, wo gewisse große Handlungen so sehr den Karakter und das Gepräg ihrer Form ausmachten, daß die einzelnen Menschen von welchen sie erzählt werden, unsern unbegrenzten Tribut

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft2_008.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)