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IV


In einer stillen mondhellen Julinacht stand Olga Iwanowna auf dem Deck eines Wolgadampfers und blickte bald auf das Wasser und bald auf die schönen Ufer. An ihrer Seite stand Rjabowskij und sagte ihr, daß die schwarzen Schatten im Wasser keine Schatten, sondern Träume seien, daß es gut wäre, angesichts dieses verzauberten Wassers mit dem phantastischen Abglanze, angesichts dieses abgrundtiefen Himmels und der traurigen und verträumten Ufer, die von der Nichtigkeit unseres Lebens und von der Existenz einer höheren, ewigen Seligkeit sprechen, in Vergessenheit zu versinken, zu sterben, zu einer Erinnerung zu werden. Die Vergangenheit sei banal und uninteressant, die Zukunft nichtig, diese herrliche, einzige Nacht werde aber bald verrinnen und mit der Ewigkeit zusammenfließen, – wozu solle man dann noch leben?

Olga Iwanowna lauschte bald der Stimme Rjabowskijs und bald der Stille der Nacht und dachte daran, daß sie unsterblich sei und niemals sterben werde. Das türkisblaue Wasser, wie sie es noch nie gesehen hatte, der Himmel, die Ufer, die schwarzen Schatten und die ihr selbst unbegreifliche Freude, die ihre Seele erfüllte, sagten ihr, daß aus ihr eine große Künstlerin werden würde und daß ihrer dort, hinter dem Horizonte, jenseits der Mondnacht, im unendlichen Raume Erfolge, Ruhm und die Liebe des Volkes harrten… Wenn

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Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/147&oldid=- (Version vom 31.7.2018)