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schämte sich, es war ihr bitter zumute, und sie hätte sich auch für eine Million nicht entschlossen, in Gegenwart der fremden Frau, der Nebenbuhlerin und Betrügerin zu sprechen, die jetzt hinter dem Bilde stand und wohl schadenfroh kicherte.

„Ich bringe Ihnen eine Skizze…“ sagte sie schüchtern, mit feiner Stimme, und ihre Lippen zitterten. „Ein Stillleben.“

„Ah… eine Skizze?“

Der Maler nahm die Skizze in die Hand und ging, sie betrachtend, wie unabsichtlich ins Nebenzimmer.

Olga Iwanowna folgte ihm demütig.

Nature morte… erste Sort’,“ murmelte er, nach Reimen suchend. „Kurort… Port… Hort…“

Aus dem Atelier tönten eilige Schritte und das Rascheln eines Kleides. Die andere war also weg. Olga Iwanowna hatte das Verlangen, laut aufzuschreien, dem Maler etwas Schweres an den Kopf zu werfen und wegzugehen; sie konnte aber durch ihre Tränen nichts sehen, sie war von ihrer Scham erdrückt und fühlte sich nicht mehr als Olga Iwanowna, nicht als Malerin, sondern als ein elender Wurm.

„Ich bin müde…“ sagte der Maler matt, die Skizze noch immer betrachtend und den Kopf schüttelnd, als kämpfe er gegen die Schläfrigkeit an. „Es ist natürlich recht nett, aber heute diese Skizze, im vorigen Jahre eine andere Skizze, und in einem Monat bringen Sie mir wieder eine Skizze… Ist es denn Ihnen noch nicht zu dumm? An Ihrer Stelle würde ich die Malerei aufstecken und mich ernsthaft der Musik oder etwas anderm widmen. Sie sind ja gar keine Malerin, sondern Musikerin. Ich bin so müde! Gleich werde ich Tee geben lassen… Ja?“

Er ging aus dem Zimmer, und Olga Iwanowna hörte,

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Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/164&oldid=- (Version vom 31.7.2018)