Seite:Der Fürst (Machiavelli Regis) 089.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Nichtsdestoweniger lehrt die Erfahrung in unsern Zeiten, daß eben die Fürsten Großes vollbracht, die auf die Treue wenig gegeben, und die Gehirne der Menschen mit List zu bethören gewußt, und daß sie zuletzt Die überwältigt, deren Richtschnur die Ehrlichkeit war. Ihr müßt daher wissen, daß es zwey Arten des Kampfes giebt, die eine durch die Gesetze, die andre durch die Gewalt. Jene erste Art ist den Menschen eigen, die andre den Thieren. Weil aber die erste öfters nicht ausreicht, muß man die Zuflucht zur zweyten nehmen; daher ein Fürst der Wissenschaft bedarf, das Thier, wie den Menschen, beides wohl anzuwenden. Dieser Punkt ist den Fürsten verblümt von den alten Autoren gelehrt, die schreiben, wie Achilles und viele Andre jener alten Fürsten dem Centauren Chiron zur Pflege gegeben worden, damit er sie unter seiner Zucht bewachte: welches Erzieheramt eines halb Thier- halb Menschenwesens nichts anderes besagen will, als daß ein Fürst die eine wie die andere Natur zu brauchen wissen muß, und die eine ohne die andre nicht Halt hat. Da also ein Fürst genöthigt ist, sich auf den Gebrauch des Thieres wohl zu verstehen, so soll er von diesen den Fuchs und den Löwen nehmen, weil der Löwe nicht vor den Schlingen sich hüthen kann, der Fuchs sich nicht vor den Wölfen sichert. Er muß daher Fuchs seyn, um die Schlingen zu erkennen, und Löwe seyn, um die Wölfe zu schrecken. Die, welche sich nur auf den Löwen legen, verstehen es nicht. Es kann deßhalb ein kluger Herr die Treue nicht halten, noch darf er es, wenn ihm dieß Halten zum Schaden ausschlüg, und die Gründe, aus denen er sie versprach, erloschen sind. Und, wären die Menschen alle gut, so würde diese Vorschrift nicht gut seyn: weil sie aber schlimm sind, und ihre Treue dir nicht

Empfohlene Zitierweise:
Niccolò Machiavelli: Der Fürst. Stuttgart, Tübingen 1842, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_F%C3%BCrst_(Machiavelli_Regis)_089.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)