Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 1.pdf/229

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sondern sie haben sich auch qualitativ verzweigt und sind zu einer früher kaum geahnten Bedeutung gelangt. So wird nach dem Gesetz zunächst Krankenhilfe gewährt. Sie umfaßt zweierlei: die Krankenhilfe und das Krankengeld. Jene beginnt mit der Krankheit, umfaßt unentgeltliche ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei und kleineren Heilmitteln. Das Krankengeld wird im Falle der Arbeitsunfähigkeit gezahlt vom vierten Krankheitstage an – nicht sogleich, um etwaigen Simulationsabsichten vorzubeugen (Karenzzeit); es beträgt für jeden Arbeitstag die Höhe des halben Grundlohnes, der in der Regel das durchschnittliche Tagesentgelt des Versicherten ist. Die Krankenhilfe endet spätestens mit dem Ablauf der 26. Woche nach dem Beginn der Krankheit. Diese gesetzlichen Mindestleistungen werden aber durch freiwillige Mehrleistungen der Kassen erhöht. So kann die Dauer der Krankenhilfe satzungsmäßig bis auf ein Jahr erweitert, Fürsorge für Genesende durch Unterbringung in einem Genesungsheim bis zur Dauer eines Jahres nach Ablauf der Krankenhilfe gestattet werden; nicht nur sogen. kleine, sondern auch größere Heilmittel und auch solche können wegen Verunstaltung und Verkrüppelung nach beendigtem Heilverfahren geboten werden, die bestimmt sind, die Arbeitsfähigkeit herzustellen und zu erhalten. Das Krankengeld kann bis auf ¾ des Grundlohnes erhöht, auch für Sonn- und Feiertage, die ja nur ausnahmsweise, z. B. beim Gastwirtsgewerbe, Arbeitstage sind, allgemein zugesprochen werden. Die Karenzzeit kann wegfallen, d. h. Krankengeld gleich vom ersten Tage der Arbeitsunfähigkeit unter gewissen Bedingungen gezahlt, es kann auch besondere Krankenkost geboten werden.

An Stelle der Krankenpflege und des Krankengeldes kann die Kasse Kur und Verpflegung in einem Krankenhause gewähren. Die Bedeutung der Krankenhauspflege wächst ständig mit der besseren Einrichtung unserer Krankenhäuser, mit der Einsicht, in vielen Fällen nur durch sie, nicht durch häusliche Behandlung Heilung erzielen zu können. Während der Versicherte sich im Krankenhause befindet, sollen aber seine Angehörigen möglichst vor Entbehrungen geschützt werden; ihnen ist deshalb ein Hausgeld im Betrage des halben Krankengeldes zu zahlen. Es kann sogar bis zum Betrage des gesetzlichen Krankengeldes erhöht werden. Umgekehrt kann auch die Krankenhausbehandlung widerraten werden. Dann kann die Kasse im Hause mit Zustimmung des Versicherten Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere Pfleger gewähren. Dies namentlich dann, wenn die Aufnahme des Kranken in ein Krankenhaus geboten, aber nicht ausführbar ist oder ein wichtiger Grund vorliegt, den Kranken in seinem Haushalt oder in seiner Familie zu belassen.

Neben der Krankenhilfe ist aber auch noch Wochenhilfe vorgesehen. In Frage kommt einmal das Wochengeld an versicherungspflichtige Wöchnerinnen in der Regel für 8 Wochen. Fakultativ kann die Kasse aber auch Kur und Verpflegung in einem Wöchnerinnenheim, Hilfe und Wartung durch Hauspflegerinnen, Hebammendienste und ärztliche Geburtshilfe zubilligen, nicht minder Schwangerschaftsunterstützung und Stillgeld, lauter Maßnahmen, deren volkshygienische Bedeutung unverkennbar ist. Sodann können aber auch versicherungsfreie Ehefrauen von versicherten Männern Wochenhilfe erlangen. Endlich ist Sterbegeld beim Tode eines Versicherten in Höhe des zwanzigfachen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/229&oldid=- (Version vom 31.7.2018)