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Aber selbst, wenn es gelang, Englands südafrikanische Politik durch eine europäische Aktion zu durchkreuzen, so war für unsere nächsten nationalen Interessen damit nichts gewonnen. Unsere Beziehungen zu England wären selbstredend von Stund an und für lange Zeit gründlich vergiftet worden. Der passive Widerstand Englands gegen die Weltpolitik des neuen Deutschland hätte sich in eine sehr aktive Gegnerschaft verwandelt. Wir gingen gerade in jenen Jahren an die Begründung der deutschen Seemacht durch den Bau unserer Kriegsflotte, England aber hatte, auch unbeschadet eines etwaigen Mißerfolges im südafrikanischen Kriege, damals die Macht, unsere Entwicklung zur Seemacht im Keim zu ersticken. Unsere neutrale Haltung während des Burenkrieges entsprang gewichtigen nationalen Interessen des Deutschen Reiches.

Uns den Weg zur Erringung zureichender Seemacht über die Interessen Englands hinweg gewaltsam zu bahnen, waren wir zur See nicht stark genug. Im Schlepptau englischer Politik war das den Engländern unerwünschte Ziel deutscher Machtentfaltung zur See ebensowenig zu erreichen.

Preßerörterungen über die Möglichkeit eines deutsch-englischen Bündnisses.

Der Gedanke lag nahe, es könne der englische Widerstand gegen die deutsche Weltpolitik und vor allem gegen den deutschen Flottenbau am leichtesten überwunden werden durch ein Bündnis zwischen Deutschland und England. Die Idee einer deutsch-englischen Allianz ist in der Tat in der Presse beider Länder bisweilen erörtert worden. Dieser Gedanke hat schon Bismarck beschäftigt, freilich, um ihm schließlich die resignierte Bemerkung zu entlocken: „Wir wären ja gern bereit, die Engländer zu lieben, aber sie wollen sich nicht von uns lieben lassen.“ Auch später wäre Deutschland vielleicht nicht abgeneigt gewesen, auf der Basis voller Parität und gleichmäßiger Bindung in ein vertragsmäßiges Verhältnis zu England zu treten. Mit Stipulationen, die England im Falle eines Regierungswechsels oder bei Eintritt anderer, von unserem Willen unabhängiger Ereignisse hätte abstreifen können, während wir an sie gebunden geblieben wären, würde den deutschen Interessen nicht gedient gewesen sein. Es hätte uns auch nicht genügen können, daß nur dieser oder jener Minister einem deutsch-englischen Abkommen geneigt schien. Um ein Abkommen haltbar zu machen, mußte sich die gesamte Regierung und vor allem der Premierminister dafür einsetzen. Bismarck hat darauf hingewiesen, wie schwierig es sei, in ein festes Verhältnis zu England zu treten, weil Bündnisse von längerer Dauer nicht den englischen Traditionen entsprächen und die Meinungsäußerungen englischer Politiker selbst in leitender Stellung oder momentane Stimmungen der englischen Presse nicht den Wert unwandelbarer Zusagen hätten. Frankreich, dem aus vielen Gründen die englische öffentliche Meinung geneigter ist als uns, in dem England heute nicht mehr einen Rivalen und namentlich keinen ernstlichen Konkurrenten zur See und im Welthandel sieht, befindet sich England gegenüber in einer anderen Lage als wir. Nur bei absolut und dauernd bindenden englischen Verpflichtungen hätten wir angesichts der Eifersucht weiter englischer Kreise gegen die wirtschaftlichen Fortschritte Deutschlands und vor allem gegen das Anwachsen der deutschen Kriegsflotte die Brücke einer englisch-deutschen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/34&oldid=- (Version vom 31.7.2018)