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Ohne Ruhmredigkeit noch Übertreibung kann gesagt werden, daß noch nie in der Geschichte eine Waffenmacht von so überlegener Stärke wie die deutsche in gleichem Maße der Erhaltung und Sicherung des Friedens gedient hat. Mit unserer über jeden Zweifel erhabenen Friedensliebe ist diese Tatsache nicht erklärt. Friedliebend ist der Deutsche stets gewesen und hat doch wieder und wieder zum Schwerte greifen müssen, weil er sich gegen fremden Angriff zur Wehr setzen mußte. Tatsächlich ist der Friede in erster Linie erhalten geblieben, nicht weil ein deutscher Angriff auf andere Nationen unterblieb, sondern weil andere Nationen die deutsche Abwehr des etwaigen eigenen Angriffs fürchteten. Die Stärke unserer Rüstung hat sich als ein Schutz des Friedens erwiesen, wie ihn die letzten bewegten Jahrhunderte nicht gekannt haben. Ein weltgeschichtliches Urteil liegt in dieser Tatsache.

Die Ergänzung unserer Wehrmacht durch die Flotte bedeutet bei richtig geleiteter deutscher auswärtiger Politik eine vermehrte und verstärkte Friedensgarantie. Wie die Armee die mutwillige Störung der kontinental-politischen Wege Deutschlands verhindert, so die Flotte die Störung unserer weltpolitischen Entwicklung. Solange wir die Flotte nicht hatten, waren unsere gewaltig anwachsenden weltwirtschaftlichen Interessen, die zugleich unveräußerliche nationalwirtschaftliche Interessen sind, die freie Angriffsfläche, die das Deutsche Reich seinen Widersachern bot. Als wir diese Blöße deckten, den Angriff auf das Reich auch zur See zu einem Wagnis für jeden Gegner machten, schützten wir nicht nur den eigenen, sondern mit ihm den europäischen Frieden. Um die Gewinnung von Schutzmitteln, nicht von Angriffsmitteln war es uns zu tun. Wir sind, nachdem wir in die Reihe der Seemächte eingetreten sind, auf den zuvor beschrittenen Bahnen ruhig weiter gegangen. Die neue Ära uferloser deutscher Weltpolitik, die im Auslande vielfach prophezeit wurde, ist ausgeblieben. Wohl aber haben wir jetzt die Möglichkeit, unsere Interessen wirksam wahrzunehmen, Übergriffen entgegenzutreten und überall, vornehmlich in Kleinasien und Afrika unsere Stellung zu behaupten und auszubauen.

Das Netz unserer internationalen Beziehungen mußte sich in dem Maße ausdehnen, in dem wir in unsere weltpolitischen Aufgaben hineinwuchsen. Fern gelegene überseeische Reiche, die uns in der Zeit reiner Kontinentalpolitik wenig zu kümmern brauchten, wurden von größerer und größerer Bedeutung für uns. Die Pflege guter, wenn möglich freundschaftlicher Beziehungen zu ihnen wurde eine bedeutsame Pflicht unserer auswärtigen Politik. In erster Linie handelte es sich hierbei um die beiden neuen Großmächte des Westens und des Ostens, um die Vereinigten Staaten von Nordamerika und um Japan. Hier wie dort galt es, gewisse zeitweilige Trübungen zu überwinden, ehe an die Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen gedacht werden konnte.

Deutschland und die Vereinigten Staaten.

Während des spanisch-amerikanischen Krieges waren in einem Teil der deutschen öffentlichen Meinung starke Sympathien für Spanien hervorgetreten, die in Nordamerika nicht angenehm empfunden wurden. Auch hatte die Art und Weise, in der ein Teil der englischen und amerikanischen Presse Zwischenfälle

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)