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Auf einer solchen – auf menschlichem Gebiet würde man sagen: sentimentalen – Anwandlung von Rückständigkeit beruht die unendliche Allgemein-Erregung des Geschöpfes, die der geschlechtliche Vorgang auslöst. Und je mehr er selber im Laufe der Entwicklung gleichsam in die Ecke gedrückt, zu einem Sondervorgang wird, desto stärker nur wächst im selben Grade die Bedeutung seines Gesamteinflusses auf das übrige, denn was da stattfindet: das Ineinanderfließen zweier Wesen im erotischen Rausch, das ist nicht die einzige, und vielleicht nicht einmal die eigentliche Vereinigung dabei. Vor allem sind wir es selber, in denen alle Sonderleben Leibes und der Seele wieder einmal in gemeinsam empfundener Sehnsucht ineinanderflammen, anstatt so interesselos, gegenseitig kaum Notiz nehmend, für sich hinzuleben, wie Glieder einer großen Familie, die nur an Gedenktagen noch wissen, daß sie „Ein Fleisch und Blut“ sind. Zu je komplizierter geartetem Organismen wir aufsteigen, desto größere Fest- und Jubeltage werden solche Erlebnisse naturgemäß sein, die unter dem Einfluß und Aufwand des Keimolasma, wie eines Großonkels aus Amerika, auf einmal alles allarmieren bis in die verborgensten Extrawinkel unseres Seins, zu einer prunkvollen Herkunfts- und Geschlechterfeier.

So sagt man auch mit gewissem Recht: Liebe beglücke immer, auch die unglückliche – wenn man nur diesen Ausspruch genügend unsentimental faßt, nämlich ohne Berücksichtigung des Partners. Denn obgleich wir von ihm sehr erfüllt zu sein scheinen, sind wir es doch namentlich von unserm eignen Zustand, der uns, als ein typisch berauschter, garnicht recht fähig macht, uns, mit was es auch sei, sachlich zu befassen. Nur erregender Anlaß ist der geliebte Gegenstand dabei: nur so, wie ein Klang oder Duft von außen, ganze Welten

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Lou Andreas-Salomé: Die Erotik. Frankfurt am Main 1910, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Erotik_(Andreas-Salome).djvu/20&oldid=- (Version vom 17.8.2016)