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Schlechte Kunst und schlechtes Leben beweisen sich an einer gräßlichen Identität. Sie glotzt uns mit der Unbeweglichkeit jener Dilettantereien an, die heute in Witzblatt und Operette so gesucht sind, weil sie die Agnoszierung des Lebens erleichtern. Gesichter, wie erstarrte Mehlspeisen, die immer da sind und in der unabänderlichen Folge von Linzer‚ Sacher, Pischingertorten, Engländer, Anisscharten und Wienertascherl sich anbieten. Pferde in Karriere, die aus einem Ringelspiel ausgebrochen scheinen, Automobile im rasenden Tempo der Panne, Fußgeher, die keinen Boden unter den Füßen haben, Ballons, die nicht steigen, Steine, die nicht fallen. Ein Leben, welches lebende Bilder stellt und so auf den Photographen vorbereitet ist, daß es sich in der Kunst nicht wiedererkennen würde und nur den Dilettanten, der ihm die Identität koloriert, für den wahren Künstler hält. Und es ist dann auch wahr geworden, daß er die Kultur seiner Zone stärker zum Ausdruck bringt als der Künstler, der ihr Elend in Lust umsetzt. So stark ist die Wirkung dieser unmittelbar aus dem Bett in den luftleeren Raum gestellten Menschheit von Hausmeistern, Infanteristen und Magistratsbeamten‚ daß sie mit der Verdoppelung dieses Lebens auch den Lebensüberdruß verdoppelt.

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Ich fürchte mich vor den Leibern, die mir erscheinen.

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In einem Zimmer mit Aussicht auf das Meer hat mich am ersten Morgen ein Choral geweckt. Ein Geräusch von Brandung und Predigt, und ich weiß nicht mehr, wie es kam, daß ich wieder einschlief und von den Kreuzzügen träumte. Unten riß Bernhard von Clairvaux das Volk hin. Immer wieder klang es wie „Spondeo“ und wie „Benedicamus domino“. Dann unverständlich und dumpf wie zum Tag des Gerichts der Ruf „Poreleba! Poreleba!“, der mich aus dem

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Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333. Die Fackel, Wien 1911, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._333.djvu/7&oldid=- (Version vom 14.8.2016)