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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

an der Seite von Felicitas und seinem Kind auf einem stillen Friedhofe im Thale der Mulde.


Und was ist aus Martha geworden, dem treuen Mutterherzen, und der kleinen Marie?

Georg hatte auf das väterlichste für die arme Familie gesorgt. So ward der guten Martha das Glück und die Freude, ihre Kinder alle wohl versorgt zu sehen und sie selbst konnte sich eines sorgenlosen Lebensabends erfreuen.

Marie, der kleine Liebling der Felicitas, war besonders begünstigt worden. Durch die Fürsorge Georg’s genoß sie eine sorgfältige Erziehung; und als die Zeit des Brautkranzes gekommen, war auch für eine stattliche Aussteuer Sorge getragen. Marie lebt noch heut als die geliebte Hausfrau eines wackern Schulmannes in der Gegend von G.

Von Lindenruh selbst ist keine Spur mehr vorhanden. Sogar der Name ist verklungen. Aus den Fenstern, deren grüne Jalousien einst so freundlich hinausleuchteten über die gesegnete Gegend, schauen jetzt bleiche Fabrikgesichter. Wo die alten Linden ihre grünen Arme gastlich ausbreiteten, braußen Dampfmaschinen, und in dem Garten, wo Felicitas ihre Blumen baute, thürmen sich Steinkohlenhaufen, aufgespeichert zum Gebrauch für die zahlreichen Hohöfen.

So verweht Alles! Und nur wenn an schönen Sommerabenden, nach des Tages Arbeit und Schwüle, die armen Leute vor ihren Hütten sitzen, klingt wie eine fromme Sage das Andenken an Felicitas durch ihre einfachen Gespräche.

Ja von dieser Felicitas konnte man wohl mit des Dichters Worten sagen: „Vom Himmel war sie gekommen, auf Erden hat sie gelebt und in den Herzen der Armen war ihr Grab.“




Ein Quartier des Elends und der Arbeit.

Mann des Ostens, der du einmal herüber gekommen bist aus den freundlichen Städten längs der deutschen Flüsse, an die nebligen Ufer der Themse, der du Englands Institute, seine Verkehrsthätigkeit und Industrie bewundert hast – hat dich nie dein Weg nach Spitalfields, dem Quartiere der Londoner Seidenweber geführt? Vielleicht hast du davon schon gehört, daß es auf irgend einer Seite dieser Hauptstadt, gegen Osten hin gelegen, einen verworrenen Knäul schmutziger, häßlicher Straßen gibt, die sich wie schwarze Laufgräben kreuzen, wo kränklich fahle, ungeschorene, beschäftigungslose Weber herumschleichen, oder brütend auf den Thürschwellen kauern, oder an Steinpfosten lehnen, oder auch gelegentlich zu einem sogenannten Meeting zusammenkommen, um eine Petition an die Königin aufzusetzen, daß sie die Landesfabrikate vom Untergang, und Tausende ihrer Unterthanen vom Hungertode rette? daß dann zuweilen ein Hofball oder eine Abendgesellschaft in Folge dieser Petition veranstaltet wird, wo alle großen Damen des Hofes in Seidenstoffen von Spitalfields gekleidet erscheinen? daß dann die armen Weber, süßer Hoffnungen voll, ein, zwei Tage lang lustig zechen, um nach Verlauf derselben wieder verzweiflungsvoll durch ihre schwarzen Straßen zu schlendern, oder brütend auf den Thürschwellen zu kauern, oder an den Steinpfosten zu lehnen, um zu verkümmern? Hast du nie davon gehört? Bist du nie in jene Gegend gedrungen? Nun wohl, dann wollen wir den Gang mit einander wagen, wenn dich’s nach dieser wenig einladenden Einleitung noch gelüstet.

Kaum haben wir von dem allerbelebtesten Theile Bishopgates’s nach den östlich gelegenen Seitenstraßen eingelenkt, so befinden wir uns in einem öden, wagenleeren Revier, vor dem grünen Kirchhof zu St. Maria, dem einzigen Ueberbleibsel des großen Klostergrundes, der jetzt mit Häusern überbaut ist. Letztere sind in historischer Beziehung nicht ohne Interesse. Seit der Zurücknahme des Edicts von Nantes im Jahre 1685 sind dies die Hauptwohnsitze der französischen Hugenotten, welche die Treulosigkeit Ludwig XIV. aus ihrer Heimath vertrieb, und die Hauptwerkstätten der durch diese Flüchtlinge herübergebrachten Seidenmanufactur. Wo früher der Weihkessel geschwungen wurde, haust jetzt das Weberschiffchen. Trotzdem hat die Klosterstätte mitsammt ihrer unmittelbaren Umgebung, ihren düstern, religiösen, asketischen Anstrich nicht verloren.

Sehn Sie dort das Haus an der Ecke? Wir wollen in diesem unsern ersten Besuch abstatten. Auf dem Platze, wo es steht, hat vor zweihundert Jahren die Kanzel gestanden, und von derselben herab predigten die Mönche an jedem Ostermontage und Dienstage in Gegenwart des Lord Majors vor dem versammelten Volke und den Kindern des Kirchspiels.

Wir treten in eine dunkle Hausflur. Ueber eine schlechterleuchtete Treppe, durch eine wurmstichige Thüre gelangen wir in ein Gemach, das weder licht noch groß und noch viel weniger behaglich ist. Seltsame Erkerfenster, alterthümlich aussehende Holzschnitzereien, massive Steinkamine; an den Wänden hochhinaufreichende Schränke, mit zierlichen Thüren, massiven Schiebern und tiefen Schiebladen; Schreibtische hinter hölzernen Schranken; verwickelte Kreuzgänge mitten durch Stöße von papierumwickelten Waaren, die in allen Farben des Regenbogens aus den Ecken der Verpackungen herausschauen. Dabei eine Todtenstille wie in einer Kirche um Mitternacht, oder wie in einem Spielhause bei Tagesanbruch. Denn in dem großen Gemache ist, mit Ausnahme eines wohlgekleideten müßigstehenden Mannes, eines Trägers, der gleichfalls unbeschäftigt auf einem kleinen Waarenballen zwischen zwei größeren sitzt, und einer Katze die dicht vor dem Kohlenfeuer in stille Anschauung ihrer Vorderpfoten versunken ist, kein lebendes Wesen. –

Die Thüre ist lautlos hinter uns in’s Schloß gefallen. Noch immer dieselbe Stille wie in einer Quäkerversammlung oder in einem höheren Regierungsbureau, bis endlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_013.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2019)