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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Warum zwanzig Ellen Zeug in dem Hirsekorn? Es enthielt viel mehr als das; es enthielt für alle Zeiten schöne Stengel mit langen hängenden schweren Trauben, es enthielt in sich den Stoff, in weniger als zehn Jahren die ganze Erde mit Hirse zu bedecken. – Und giebt es einen Grashalm, der nicht ein weit größeres Wunder wäre als alle Wunder aller Fabeln und Märchen aller Zeiten und aller Völker? Herr Gott, wie groß bist Du!


Eine alte Jungfer. .... Neulich begegnete sie mir wieder, die ich einst unter andern Verhältnissen gekannt hatte. Damals war sie jung, schön und geistreich, die Königin aller Feste, die vielfach Beneidete, nach der sich alle Lorgnetten des Theaters richteten. Der Stern glänzte lange so schön und strahlend, bis er mit der Zeit von Tag zu Tag matter leuchtete, bis er endlich ganz verblich und eines Tages an dem Himmel der Feste für immer unterging. Das schöne Mädchen war alt geworden. Wo sonst die Rosen in voller Blüthe standen, hatten eine Zeitlang noch falsche Blumen einen Frühling hingezaubert, die schönen Locken glänzten noch eine Weile um die sonst so strahlenden Augen, ihr Lächeln war freundlicher, hingebender, weniger stolz als früher, aber der Schmelz der Jugend fehlte, die Frische der aufblühenden Jungfrau, und jetzt war sie eine – alte Jungfer!

Ihr zuckt die Achseln! Ihr lacht, und um Eure Mundwinkel blitzt es auf wie garstiger Hohn! Seid nicht lieblos! Ihr wißt nicht, wie viele Thränen, wie viele weinend durchwachte Nächte, wie viele begrabene Hoffnungen an diesem Titel: alte Jungfer, hängen! Was sie gehofft und aufgegeben, was ihr verhießen und unerfüllt blieb, wie sie mit jedem Tage die furchtbare Gewißheit näher heranrücken sah, und wie sie sich angeklammert an die letzte Hoffnung, und wie auch diese zertreten und nur der Spott geblieben über das „Vergessenwerden“ und „Sitzenbleiben“ .... Ihr wißt es nicht! Und auf der andern Seite kennt Ihr das still beschauliche Leben nicht, was diesen begrabenen Hoffnungen folgt, und ahnet nicht, wie viel Liebe oft und stille Tugend noch in der eingefallenen Gestalt leben. Euer Spott würde Euch gereuen.

Ich sehe sie noch vor mir, das Jungfer Riekchen, wie sie genannt wurde in der Stadt, das alte Mädchen mit dem ewig freundlichen Lächeln und dem redseligen Munde. Es konnte sich Niemand mehr auf die Zeit besinnen, wo ihr Herz jung gewesen, Niemand hat gewußt, ob sie auch einmal geliebt, gehofft und geträumt, ob sie als ein vergessen Blümlein stehen geblieben, oder ob die Schuld eines Ungetreuen sie betrogen um des Weibes schönstes Lebensziel. Trotzdem mußte in dem Schachte ihrer Erinnerungen wohl manche liebeschwere Geschichte ruhen, wie denn in der altmodischen messingbeschlagenen Kommode, die in ihrem Stübchen stand, seit langen Jahren ein Kästchen ruhte mit zwei Ringen und einigen vergilbten Papieren, dazwischen ein verwelktes Sträußchen. Wem die Ringe und die Papiere gehörten, ob das Sträußchen einst an ihrer eigenen Brust geblüht, von ihren eigenen Lippen geküßt oder unter den Thränen einer fremden Liebe verwelkt war – sie hat niemals darüber gesprochen und selbst die alte Magd hat es nie erfahren. An einem bestimmten Tage im Jahre stäubte sie das Kästchen säuberlich ab, schloß sich in das kleine Stübchen ein und wie die alte Magd versichert, die neugierig durch das Schlüsselloch gelauscht, hat sie dann die Ringe unter Thränen an die welken Lippen gedrückt und die vergilbten Blätter immer und immer wieder gelesen, bis ihr die Augen schmerzten und sie still das Kästchen wieder zu den übrigen Erinnerungen aus früherer Zeit setzte. Der alten Magd sagte sie dann andern Tages, sie habe am Altare ihrer Erinnerungen das Liebesmahl genossen.

Obwohl sie verschiedene Möpse, Katzen und eine alte sehr häßliche Magd besaß, so hatten sie doch Alle lieb im Städtchen. Wo Einem etwas Freudiges begegnete, da war sie auch die Erste, die gratulirte, und wo das Unglück eingekehrt, da fehlte sie wiederum nicht mit ihrer Hülfe. Wie oft in kalten Wintertagen holte sie arme Kinder von der Straße herauf und wärmte sie auf ihrem Stübchen so lange, bis sie ein gefüttertes Jäckchen oder Westchen für sie zusammen geflickt hatte. Es war ihr Bedürfniß wohlzuthun und Liebe zu erwecken. Dabei hatte sie nur eine kleine Rente, die just zureichte das Nöthigste zu decken. Aber sie war immer thätig, immer beschäftigt und wenn sie nicht lachte mit den Glücklichen oder weinte mit den Trauernden, da arbeitete sie rastlos für Andere, flickte und nähte für die Armen, das alte Mädchen mit dem ewigfreundlichen Lächeln. Als sie endlich starb, vermachte sie all’ ihre Habe den Armen und der alten Magd, die sie Jahre lang treu gepflegt. Nur die beiden Ringe nahm sie mit in’s Grab und die vergilbten Papiere und das Sträußchen. Das halbe Städtchen folgte dem Sarge der „alten Jungfer“. Was ihr versagt war vom Schicksal, ein Liebeleben an der Seite eines Mannes, sie hatte es sich selbst geschaffen in anderer Weise – ein Liebeleben für die Armuth und das Unglück!

Deshalb zuckt nicht mit den Achseln, wenn von einer „alten Jungfer“ die Rede ist. Ihr wißt nicht, wie viel Liebe in diesem Herzen unbefriedigt zertreten ward, welche große und menschlich-schöne Gefühle oft in die verödete Brust gezogen sind an die Stelle einstiger Leidenschaften, und schließlich nochmals, Ihr ahnet nicht, wie viel Kummer und Thränen und begrabene Hoffnungen an dem lieblosen Titel hängen: eine alte Jungfer!


Onkel Tom’s Hütte, das Buch, das so unendlich viele Thränen und gute Vorsätze hervorgelockt, hat auch in Deutschland eine enorme Verbreitung gefunden. Den Lesern von 7 Monatsschriften wird es in monatlichen Portionen aufgetischt, außerdem sind bereits zwanzig bis dreißig Uebersetzungen mit und ohne Illustrationen erschienen, woran bereits mehrere in neuen Auflagen gedruckt wurden. Die in Leipzig bei Friedlein erschienene allerdings wohlfeilste Ausgabe dieses Buches (sie kostet nur 10 Ngr.), ist allein bereits in 20,000 Ex. verbreitet und noch gehen täglich so viel Bestellungen ein, daß der Verleger nicht Hände genug in Bewegung setzen kann, den Anforderungen des Publikums nachzukommen. – Wir wollen wünschen, daß das Buch im Interesse der Humanität Früchte trägt. Nicht nur in Amerika giebt es Sclaven, auch Deutschland hat deren genug, nur daß sie bei uns unter andern Namen existiren. Ein Sclave in Amerika wird oft menschlicher und freundlicher behandelt, als in Deutschland ein armes Dienstmädchen.

E. K.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_032.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)