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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Der Deutsche in Amerika.

Nr. 2.

Wenn ich Dir meine Gefühle schildern sollte, die mich beseelten, als ich mit Zweihundert Gefährten das Schiff verließ und zuerst das vielgerühmte Land der Freiheit betrat – ich vermöchte es nicht. Ich war unendlich glücklich und doch auch unendlich einsam! Vor uns das herrliche Panorama von New-York, die reiche Vegetation einer über alle Beschreibung reizenden Landschaft, das ferne Brausen der Weltstadt, das rege Treiben im Hafen und über dem Ganzen der klare tiefblaue Himmel – wer hätte da nicht aufjauchzen sollen vor Lust und Freude. Alle Glieder reckten sich, als ob sie neu gestählt wären.

Aber im nächsten Augenblicke auch schon wieder das Gefühl des Alleinstehens, des Verlassenseins! Ohne Freund, ohne Anhalt und Stütze in dem weiten Lande, eigentlich auch ohne bestimmten Zweck als den, sich eine Existenz zu schaffen, befällt den Einwandernden unwillkürlich die beunruhigendsten Zweifel über die nächste Zukunft. Dazu wirkt die Physiognomie der Stadt überraschend auf die Ankommenden ein. Man kann Paris, London und viele andere große Städte gesehen haben, man kann das Leben und Treiben aller großen Residenzen Deutschlands genau kennen – hier ist Alles fremd, Alles neu, großartiger und imposanter als alles bisher Gesehene. Man fühlt sich gedrückt oder, um einen gut deutschen Ausdruck zu brauchen, verblüfft bei all’ diesen Wundern der Natur und des menschlichen Geistes.

Und das erste Willkommen seitens Amerikas ist wahrlich nicht geeignet, diesem Verblüfftsein ein Ende zu machen. Schwindler aller Art umkreisen die Ankommenden, in denen sie ein Opfer ihrer Habgier zu finden hoffen. Sogenannte Agenten deutscher Einwanderungs- oder Transportgesellschaften, Commis von Dampfschiff-Compagnien, Verkäufer von Farms (ganz nach Belieben, vollständig oder zum Theil cultivirt, mit und ohne Inventar) stürzen auf den Einwanderer los mit ihren Offerten und suchen auf jede mögliche Weise das Zweckmäßige ihrer Anerbietungen zu beweisen. Warne Deine Freunde bei Zeiten vor diesen Leuten; selbst wenn sie gerichtlich vidimirte[WS 1] Documente vorlegen, Zeugnisse bekannter Firmen und andere Beweise für ihre Ehrlichkeit und Solidität bringen – es ist Alles Charlatanerie, Schwindel, Alles „Humbug“, wie es der Amerikaner nennt.

Aber ich wollte Dir von unsern Landsleuten und ihrem Leben erzählen. Ich komme später schon zurück auf die Details der Schäden und Fallen, die den Einwandernden von allen Seiten bedrohen. Auch über das Schaffen und Treiben der Deutschen gebe ich Dir vorläufig nur Allgemeines, wie ich es theils aus eigener Anschauung, theils aus einem hier erschienenen trefflichen Buche eines Deutschen über „Deutsche Einwanderung“ kenne, um dann in die Einzelheiten ihrer geschäftlichen und geistigen Existenz überzugehen.

Die große Masse der Einwanderer vertheilt sich in die westlichen Staaten als Landbauer. Sie kaufen sich in der Nähe von Leuten aus ihrer Gegend ein Blockhaus und ein paar Acker bereits urbar gemachtes Land von einem englischen Einwanderer, der immer nur darauf wartet, bis ein Abnehmer kommt, damit er weiter in den Wald könne. Wo mehrere Deutsche sich zu einer Ansiedlung zusammenthun, da fangen sie von wilder Wurzel an. Solcher deutschen Ansiedlungen giebt es unzählige. Wo erst ein paar sitzen, da ziehen sie in kurzer Zeit noch mehrere aus ihren Geburtsörtern in Deutschland und von den übrigen an sich, die durch das Land fahrten und vielleicht erst bei ihnen in den Dienst treten. Im Umsehen ist eine Ansiedlung entstanden, die sich meilenweit hinzieht. Ein Plan wird bei diesen Anlagen nur dann befolgt, wenn sie von einer Ansiedlungsgesellschaft geleitet werden, gewöhnlich baut sich der Ankömmling sein Haus dahin, wo er ein gut Stück Land bekommen kann.

Es ist anziehend, dem Leben und Treiben in diesen neuen Ansiedlungen zuzusehen. Während in der Mitte schon die Kirche feststeht und man sich über den Prediger und die Kirchenverfassung beräth, schlägt man an den Enden noch die Bäume nieder und die Nachbarn eilen herbei, unter Lust und Fröhlichkeit die Blockhütte zusammen zu setzen. Und merkwürdig ist es dann, wie bald den Deutschen, der vorher noch so hingebend und unsicher war, ein Gefühl der Selbstständigkeit und eigenen Würde überkommt, so bald er ein Stück vom Erdboden sein eigen nennt. Dann tritt er fest auf, da giebt er seine Meinung in bestimmter körniger Weise, und dies erste frische Gefühl, daß auch er ein ganzer Mann ist, verführt ihn häufig zur argen Hartnäckigkeit, und daher kommt es, daß selten der kleine Krieg zwischen den neuen Hütten ruht. Von Außen nehmen sie sich in den ersten Jahren nicht gefällig aus.

Die graue Einförmigkeit der Blockhäuser, die rohen Einfriedigungen der Felder, diese gräßliche Augenqual, die angebrannten dürren Bäume, der Anstrich von Verwilderung, den das ungebaute Land noch hat, die wenigen Menschen, die zwischen den nicht nahe gerückten Wohnungen sich sehen lassen, – das alles giebt einer solchen Ansiedlung mitten im wogenden grünen Walde das Ansehen der Oede und Verbannung. Auch ist der Anfang mühselig. Die härteste Arbeit, Siechthum und Elend drückt den Ansiedler und seine Frau danieder, und vom englischen Nachbar haben sie vielleicht etwas Hülfe, niemals aber freundlichen Zuspruch. Aber sobald die Kinder zu laufen anfangen, gebt es besser, am Ende des dritten Jahres ist man sorgenlos, nach sechs Jahren bereits in gutem Stande und nach zehn Jahren wohlhabend. Und in der Zeit haben sich die Männer durch Umgang mit älteren Ansiedlern, durch Zeitungslesen, durch Theilnahme an öffentlichen Vorlesungen zu selbstständigen Bürgern Amerikas herangebildet, und ihre Frauen das Wesen der wohlhabenderen deutschen Bürgerfrauen angenommen. Wo die Deutschen zerstreut wohnen, nehmen sie äußerlich wohl englisch-amerikanische Sitten an, bleiben sonst aber deutsch. Wo ihrer mehrere zusammenwohnen, wie es gewöhnlich ist, da halten sie daran fest, sich in deutscher Weise fortzubilden; die Bildungsmittel, als Bücher, Schullehrer, Vorträge, gehen ihnen aber sehr ab. Um Politik bekümmern sich die deutschen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. beglaubigt (Quelle: Duden online)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_041.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)