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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

kann Einer denken, was er will,“ – und glauben nun damit human zu sein. Das ist nun der Fehler, der auch wieder einen andern großen Fehler herbeizieht: die Trägheit in Ueberzeugungen: die feste Entschlossenheit gegenüber einem einmal erkannten Rechten. Wer nicht die wahre Humanität hat, der hat auch keine festen, unerschütterlichen Principien; wer aus Trägheit duldsam ist, der wird aus Trägheit auch unentschlossen sein.


7. Frage. Was ist oft der wahre Grund zu einer muthigen That?

Antwort. Die Furcht! Es giebt viele Menschen. die gar keine Kurage haben, gar keine Thatkraft, und im Augenblicke höchster Gefahr nur aus Feigheit sich emporraffen und die Gefahr besiegen, der sie nicht mehr entlaufen können. – Viele gewonnene Schlachten sind durch solche Feigheit gewonnen.


8. Frage. Wer erscheint in einer Gesellschaft oft am geistreichsten?

Antwort: Wer den Andern am aufmerksamsten zuhört. Ach, wir hören uns ja so gerne selbst reden; wir sind so glücklich, wenn Einer uns recht aufmerksam zuhört, und wer uns nun dieses Glück verschafft, den halten wir dann aus Dankbarkeit für gescheidter und geistreicher, als er es vielleicht ist.


9. Frage: Wem bieten wir oft am liebsten unsere Wohlthaten an?

Antwort: Demjenigen, von dem wir überzeugt sind, daß er sie nicht braucht und den wahren Grund unseres Anerbietens nicht kennt. –


10. Frage: Warum fühlen wir es so rasch, wenn ein Anderer uns langweilt, und so spät, wenn wir einen Andern langweilen?

Antwort: Weil wir glauben, daß wir eigentlich Niemand langweilen können und jeden Andern für langweiliger halten als uns selbst.




Blätter und Blüthen.

Ein wackerer Vater. Die Kinder der Könige und Mächtigen der Erde sind eben auch wie die des ärmsten Tagelöhners „Menschenkinder“, welche der Erziehung bedürfen, wenn sie zum Nutzen und Dienst ihrer Nebenmenschen gedeihen sollen. Und wohl ihnen, wenn diese nöthige Erziehung von den Eltern ihnen auf eine Weise widerfährt, wie dieses im vorigen Jahre dem künftigen Thronerben von Großbritannien, dem damals sechsjährigen Prinzen von Wales, von seinem Vater, dem Prinzen Albert, geschah.

Der kleine Prinz von Wales stand eines Tages in seinem Zimmer des königlichen Landsitzes am Fenster, dessen Scheiben, wie dies bei manchen solchen Gebäuden der Fall ist, bis herunter auf den Fußboden reichten. Er sollte seine Lection auswendig lernen, schaute aber aus dem Fenster hinaus in den Garten, und spielte mit seinen Fingern an den Scheiben. Seine Gouvernante, das Fräulein Hillyard, bemerkte das und bat ihn freundlich, an das Lernen seiner Aufgabe zu denken. Der kleine Prinz sagte: „Ich mag nicht.“

„Dann muß ich Sie“, sagte das Fräulein „in die Ecke stellen.“

„Ich will“, antwortete ganz trotzig der Kleine, „nicht lernen und muß nicht in der Ecke stehen, denn ich bin der Prinz von Wales.“ – Indem er dies spricht, stößt er mit dem Fuße eine Fensterscheibe hinaus.

Da erhebt sich Fräulein Hillyard von ihrem Stuhle und sagt: „Sire, Sie müssen Ihre Lektion lernen oder ich muß Sie in die Ecke stellen.“

„Ich will nicht,“ sagte der Kleine und stößt eine zweite Fensterscheibe hinaus.

Das Fräulein klingelt: der Kammerdiener kommt: durch diesen läßt sie dem Vater des Prinzen, dem Prinzen Albert sagen, sie bäte unterthänigst, daß Sr. königl. Hoheit sich hieher bemühen möchten, weil sie in dringenden Angelegenheiten seines Sohns mit ihm zu sprechen habe. Der Vater kommt sogleich, läßt sich Alles, was so eben vorgegangen war, erzählen. Er wendet sich hierauf an seinen kleinen Sohn, und indem er auf einen kleinen Schämel deutet, sagt er: „Setze Dich einmal hieher und bleibe da bis ich wiederkomme.“

Darauf verläßt er das Zimmer, kehrt aber bald wieder zurück. „Es ist wahr“ wandte er sich dann zu dem trotzigen Knaben. „Du bist der Prinz von Wales, und wenn du dich gebührend aufführst, kannst du ein vornehmer Mann, Du kannst einmal nach dem Tode Deiner Mutter, die uns Gott noch lange erhalten möge, König von England werden. Aber jetzt bist Du noch ein kleiner Knabe, der seinen Vorgesetzten und Pflegern gehorchen muß. Ueberdies muß ich Dir noch ein anderes Wort eindringlich machen, das der weise Salomo sagt: Wer seine Ruthe schonet, der hasset seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald.“

Darauf zog der Vater eine Ruthe hervor und züchtigte den künftigen Thronerben des mächtigen Reiches in einer sehr fühlbaren derben Weise, stellte ihn dann in die Ecke und sagte. „Hier bleibst Du so lange stehen und lernst Deine Lection, bis Fräulein Hillyard Dir erlaubt, wieder hervorzutreten. Und vergiß nie wieder, daß Du jetzt unter Vormündern und Erziehern, sowie künftig unter den Gesetzen stehest.“


Eine Berichtigung. Durch viele deutsche Zeitungen läuft die Nachricht, der Apotheker Sänger in Neustadt a. O. habe ein Verfahren erfunden, durch welches die Leinewand so präparirt werde, daß man sich deren statt des Druckpapiers bedienen könne. Der dortige Buchhändler Wagner habe auch bereits eine Kinderschrift auf diesem neuen etwas theuern Papiere erscheinen lassen. Das Letztere ist allerdings richtig, was aber die neue Erfindung anlangt, so müssen wir bemerken, daß in England bereits seit mehren Jahren dergleichen unzerreißbare Kinderschriften

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_053.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)