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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 9. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Der Seewicher Pfarr-Kirmesstag.

Ein Bild aus dem thüringischen Volksleben
von
Ludwig Storch.

In einem der niedrigen und flachen Thäler, welche die Vorberge des nordwestlichen Thüringerwaldes eben in nordwestlicher Richtung nach dem Hörselthale zu bilden, liegt in einzelnen von Gärten und Feldern umgebenen Häusern lang hingestreckt das der Welt wenig bekannte Dorf Seebach, von seinen und den Einwohnern der benachbarten Ortschaften nur „die Seewich“ genannt. Es gehört zum ehemaligen Herzogthum Sachsen-Eisenach, seine Flur ist aber ganz von gothaischem Lande umgeben. Nichtsdestoweniger beträgt seine Entfernung von der eisenacher Grenze und bis zum nächsten eisenacher Weiler doch keine volle halbe Stunde, und die gute und loyale Stadt Eisenach, die zweite Stadt des Großherzogthums Sachsen-Weimar ist nur zwei gute Stunden davon gelegen. Von der Anhaltestelle Wutha an der thüringischen Eisenbahn zwischen Eisenach und Gotha erreicht ein rüstiger Fußgänger in einer Stunde landaufwärts das bezeichnete Dorf, da es aber weder Naturschönheiten, noch sonst eine besondere Merkwürdigkeit besitzt, so würde es von Fremden gewiß wenig besucht werden, wenn nicht die Chaussee von dem eine kleine Stunde tiefer im Gebirge gelegenen großen und volkreichen Fabrikort Ruhla und von der thüringer Bahn bei Wutha nach der alten am Fuß des Gebirgs gelegenen kleinen Stadt Waltershausen, berühmt durch ihre trefflichen Fleischer- und Bäckerwaaren, durch das unvergleichliche Felsenkellerbier und die mannigfachen Spielwaaren, durch „die Seewich“ führte. Die paar hundert Bewohner treiben in ziemlich beschränkter Weise Ackerbau und Viehzucht, Obstbau und einige nähren sich von Fabrikarbeiten für die rühler Kaufleute.

Sonst hatte das Dorf etwas Eigenthümliches, die in der Umgegend wohl bekannte und beliebte „Seewicher Pfarrkirmeß,“ und ich weiß in der That nicht, ob sich diese Einrichtung in ihrem schätzenswerthen Charakter erhalten, oder ob die „alles vernichtende und umstürzende Zeit“ auch sie beseitigt hat. – Ein in „der Seewich“ geborner vornehmer und reicher Mann, Leibarzt eines Kurfürsten von Sachsen, und wenn ich nicht irre Sohn eines „Seewicher“ Pfarrers, hatte seines Namens Andenken an das Haus seiner Geburt durch ein originelles Vermächtniß gefesselt und damit den Beweis geliefert, daß er nicht nur selbst eine fröhliche Seele gewesen war, sondern auch das Herz seiner gemüthlichen Landsleute gekannt hatte. Der kurfürstliche Medikus hatte nicht etwa die unentgeltliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_087.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)