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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

dieses enorme errichtet, er war mit andern Worten d’un pauvre diable ein Millionair geworden. Da berieth er sich einst mit seiner Frau und sie fanden, daß 100,000 Franken Renten für gewöhnliche Bedürfnisse hinreichend wären und sie dieselben nicht mehr vermehren wollten. Der Herr „pauvre diable“ rief also alle seine Commis zusammen, nahm von ihnen Abschied und stellte ihnen ihren neuen Herrn vor, nämlich den ob dieses unerwarteten Glückes ganz erstaunten ersten Commis, von dessen Tüchtigkeit er sich durch langjährige Dienste überzeugt hatte. Um aber nicht das Glück so ganz in den Schooß eines Einzigen zu werfen, traf er folgende interessante Verordnung, durch welche er eben so eine Menge von glücklichen Leuten, als eine Pflanzschule ausgezeichneter Commis schuf. Er bestimmte nämlich, daß der erste Commis dem Geschäfte so lange als Herr vorstehen sollte, bis er daraus einen Gewinn von 50,000 Franken Renten gezogen habe. Dann sollte er das Geschäft unter denselben Bedingungen wieder an seinen ersten Commis übergeben und so ad infinitum. Da nun der jedesmalige erste Commis weiß, daß am Ende einer gewissen Zeit sein Glück gemacht sein muß, so giebt er sich alle Mühe sich auf seinem Posten zu erhalten, eben so wie die andern Commis sämmtlich nichts sehnlicher wünschen, als durch Thätigkeit und Treue bis zum Range des ersten Commis zu avanciren. Sie sind denn je nach ihren Fähigkeiten und Leistungen alle numerirt und avanciren je nach den Beweisen, die sie von ihren Fortschritten geben können, und auf diese Weise betrachtet es jeder Commis schon als ein Glück, in das Haus aufgenommen zu werden, weil es dann nur von seinem Fleiße und Talente abhängt, erster Commis und nach wenigen Jahren Herr eines der ersten Pariser Geschäfte zu sein. Es sollen jetzt, seit 22 Jahren, sich schon drei erste Commis gefolgt sein, die sich jeder mit einer Million Franken zurück gezogen und ihren Platz dem Nachfolger cedirt haben. An dem Geburtstag des von so Vielen, die er glücklich gemacht, angebeteten alten Herrn versammeln sie sich denn Alle und wetteifern, wer ihm durch die zarteste Aufmerksamkeit, durch die liebevollste Beglückwünschung seine Verehrung am Besten darthun wird.




Weiße Sklaven in England. Onkel Tom, die Adresse der Herzogin von Sutherland an die amerikanischen Frauen und deren kräftige Antwort, haben wenigstens die eine gute Folge gehabt, daß man sich in England um die „weißen Sklaven“ bekümmert. So hat man ausgerechnet, daß London allein wenigstens gegen 100,000 solcher weißen Sklaven habe, die im Durchschnitt alle schlimmer daran seien als die Sklaven Amerikas, welche wenigstens wie das Vieh, d. h. als productives Capital behandelt würden. Ein Wochenblatt wies neulich nach, daß zunächst die 14,000 Kutscher und Conducteure von Omnibussen durchaus weit unter den Pferden ständen. Jedes Omnibuspferd mache täglich nur ein große Tour durch London und habe wöchentlich einen, auch zwei Ruhetage. Ist es krank, werde es von geschickten Aerzten behandelt, mit guten Decken versehen und sorgfältig gepflegt. Der Omnibusconducteur oder Kutscher sei jeden Tag, Jahr aus Jahr ein, von 8 Uhr Morgens bis 12 Uhr Abends jedem Wind und Wetter ausgesetzt, habe nie einen Ruhe- und Erholungstag, bis er todtkrank heruntersinke und mit Weib und Kind brotlos sei. Einem solchen Kutscher habe der Eigenthümer, von ihm um einen Ruhetag gebeten, zur Antwort gegeben: „Ruhen Sie aus, wenn Sie todt sind!“ Auch das Thema der Näherinnen ist wieder aufgefrischt, selbst von der Times. Im Westend, wo die Herzogin v. Sutherland und ihresgleichen Alles kauften und machen ließen, befänden sich 20,000 Schneiderinnen und Putzmacherinnen in der Lage, bei 16–20 und auch 24stündiger Arbeit täglich sich nicht gegen Hunger und Abzehrung schützen zu können. Die 24stündige Arbeit an einem Tage verschulde die Herzogin v. Sutherland und ihresgleichen. Wenn eine solche Dame ein Fest geben wolle, wenn eine etwas Neues gesehen, gehört oder nur einen Einfall auf ihre Garderobe habe, so laute die Ordre: es müsse in 12 oder höchstens in 24 Stunden fertig sein. So ein Kleid sei der Besitzerin einer so hohen Kundschaft und einer Heerde Sklavinnen mehr werth, als alle Arbeiterinnen zusammen, die jeden Augenblick durch andere ersetzt werden könnten. Letzteres ist mit den Sklaven in Amerika nicht der Fall. Sie kosten Geld und werden deshalb wenigstens wie nützliches Vieh gehalten. Herr Bright wies in seiner Manchesterrede auf die Millionen englischer Sklaven in Indien hin, und daß auf jeden jährlich blos eine halbe Elle Baumwolle käme, auf jeden amerikanischen Sklaven 10 Ellen. An diesen baumwollenen Manchestermaßstab haben die Sutherlands gewiß nicht gedacht. Aber es liegt eine treffende Bitterkeit darin, wenn man bedenkt, daß in Indien neben den Kaufleuten besonders die Söhne der Aristokraten herrschen und als Offiziere der zahlreichen Armeen ziemlich als Satrapen wirthschaften. –




Literarisches. Unter dem Titel: Charakterbilder hat der bekannte Beda Weber seine in frühern Jahren in Zeitungen veröffentlichten einzelnen Artikel gesammelt und nochmals herausgegeben. Das 31 Bogen starke Buch ist pretiöserweise mit dem Bildniß des Verfassers geschmückt. Wer Gefallen an hämischen, durch und durch giftigen und hinterlistigen Verdächtigungen und Schmähungen findet, dem empfehlen wir dieses Buch eines Mannes, der sich „Priester der christlichen Kirche“ nennt. Wo bleibt da christliche Liebe und christliches Vergeben? – In Leipzig erscheint eine „Neue Volks-Bibliothek,“ die in Uebersetzungen aus dem Französischen und Englischen besteht. Als Lektüre für das Volk??? wird darin auch A. Dumas vier Frauen-Abenteuer erscheinen. – Freunde der Alterthumskunde machen wir auf die so eben in Leipzig erschienene Uebersetzung der Fellows’schen Reise nach Kleinasien und Lycien aufmerksam, die mit vielen Abbildungen geziert, treffliche und gründliche Mittheilungen über jenes Land und seine vielen historischen Ueberreste einer großen Zeit enthält. – Bei Beginn eines neuen Bandes empfehlen wir noch das in Stuttgart erscheinende „Kunst- und Unterhaltungblatt,“ das trefflichere Erzählungen und bei Weitem schönere Stahlstiche bringt als das mit so vielem Pomp ausposaunte östreichische Familienblatt, dem wir keinen Geschmack abgewinnen können. Die vielbesprochene Preisnovelle ist sehr matt ausgefallen.

E. K. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_154.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)