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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

ein schwacher Rest von Gluth erbleicht unter seiner störenden Hand. Er greift rasch nach den Papierbogen, mit welchen die Leichen bedeckt sind und sucht es in Flamme zu bringen. Es versengt langsam, aber will nicht in Flammen ausbrechen. Da läuft er in das nächste Zimmer, wo andere Leichen unter dünnem Papier schlafen. Hastig knittert er die Bogen zusammen, sie von Leiche nach Leiche wegreißend. Warum steht er auf einmal starr? Warum gaspt er nach Luft und blickt so stier und wild?

Wenn das ein Traum ist, muß es der grauenvollste sein! Er schlägt sich vor die Stirne, ringt die Hände und taumelt davon. Er wacht. Er will umkehren, noch einmal hinsehen – nein, nein, er kann es nicht. Er hat sie einmal gesehen in vollster, blühendster Schönheit, aber todt, unwiederbringlich verloren und erloschen. Er weiß, warum. Der Brief steckt noch in seiner Tasche. Er versucht ihn beim schwachen Mondenlichte noch einmal zu lesen. Vergebens. Noch einen Blick auf die schöne, schöne Gestalt, die das rasch erstickende Wasser der Themse von dem langsamen Tode des Absiechens am gebrochnen Herzen gerettet hatte, noch einen Blick und er sinkt, von physischer Kälte und dem Blitze des furchtbarsten Richterspruchs in’s Herz getroffen, zusammen.

Dort lag er und starrte mit wahnsinnigem stieren Blick durch die mondhelle Finsterniß über die todten Gebeine hin bis zu ihr, der unschuldigen, schönen, todten Hülle, in der einst seine Poesie, sein Himmel, alle Seligkeit einer reinen Jugend gelebt und geliebt, zu ihr, die er ermordet und unter Diebe und Mörder, unter den Auswurf der Armuth geschleudert! Bewegte sich nicht ihre schöne Hand? – Sie schien sich zu bewegen. Sie erhebt sich, wendet sich, ihre Wange röthet sich, ihr Auge öffnet sich, ihre süße Stimme ruft ihn. Nein, er besinnt sich – da liegt sie noch in Schönheit und Unschuld, aber todt und kalt und bewegungslos. Er rafft sich auf; mit aller Gewalt will er hinaus in die Freiheit, in’s Leben, unter Lebendige. Die schweren Riegel setzen dem Ohnmächtigen unerschütterlich ihre stumme, eiserne Kraft entgegen. Niemand hörte ihn, Niemand, das fühlte er, konnte draußen die ewige Last von seiner Seele nehmen. Er sank wieder an der Thür zusammen.

Dort fand ihn der Schließer am nächsten Morgen besinnungslos und körperlich gelähmt in allen Gliedern. Die Kunst der Aerzte bot vergebens allen ihren Witz auf; wohl kam er wieder zum Bewußtsein seiner Schuld, aber nie wieder zum Gebrauch seiner Glieder. Man fuhr ihn endlich zurück in das väterliche Haus, hilflos wie ein Kind. So blieb er und so lebt er fort niedergebeugt, trostlos in ewiger Reue.

Auf dem kleinen Kirchhofe, nicht weit von seinem Hause, erhebt sich ein grauer Hügel, wo weder der sanfthüllende Schnee des Winters, noch der lustige Vogel des Frühlings ein Denkmmal, einen Namen sehen. Nur das Gras flüstert an kühlen Sommerabenden sehr leise und scheint von dem Unglücklichen verstanden zu werden, der hier so oft und so lange sitzt und wartet, bis er wieder nach Hause getragen wird.

Auch wir wissen wohl, wer unter dem Hügel so frühzeitig den ewigen Schlummer zu schlafen begann. Und von dem stummen, gebrechlichen Wesen, das fast Tag für Tag hiehergetragen und wieder weggetragen wird, läßt sich erwarten, daß er noch in einer Hoffnung Trost finde, in der Hoffnung, bald treu und unwandelbar an ihrer Seite den Schlaf der Todten schlafen zu können.




Spanische Reisebriefe.

Von
E. A. Roßmäßler.
III.[WS 1]
Der Monserrat.
Barcelona den 26. März 1853  

Es war mir gelungen, zu einem Ausfluge nach dem großartigen Naturwunder, welches der Monserrat ist, zwei Reisegefährten zu finden, und so bestiegen wie denn mitsammen am 23. d. M. in der Mittagsstunde den Himmel eines Omnibus, welchen Platz wir der freien Aussicht wegen absichtlich gewählt hatten. Diese Himmelfahrt wurde anfangs in den Gassen Barcelonas, welche ein treues Abbild des wildromantischen catalonischen Hügellandes sind, zu einer wahren Höllenfahrt; aber desto mehr priesen wir unser Himmelreich, als wir auf die gut unterhaltene Landstraße kamen und nun der freiesten Umschau auf die reizende Gegend genossen. Die reiche Stadt streckt ihre Arme weit hinaus in die weite fruchtbare von Hügelreihen umfriedigte Ebene. Die Ortschaft Sans ist großentheils eine Gasse schöner Villen und großer Fabrikgebäude. Wir fuhren durch San Felin, fast noch dieselbe Erscheinung. In allen Hausfluren saßen die Weiber vor großen Klöppelkissen, umringt von kleinen, oft kaum zehnjährigen Schülerinnen. Plötzlich trat der Monserrat als ferner blaugrauer Umriß über den Horizont hervor. Je mehr sich unser schaukelnder Wagen ihm näherte, desto mehr traten auf dem Kamme des wunderbaren Berges die zahlreichen Kegel hervor, die ihm den Namen gegeben haben und die ihm von weitem eine Aehnlichkeit mit einer Unterkinnlade etwa eines Höhlenbären geben. Bei Molins del Rey überschritten wir auf einer schönen steinernen Brücke den Llobregat, ein Fluß, der hier, einige Stunden vor seiner Mündung in das Meer, etwa der Saale bei Halle gleichkommt. Wir blieben nun an seiner rechten Seite, meist dicht an seinem hohen Ufer. Dieses steigt vor Martorell, einem gewerbsfleißigen Städtchen, beträchtlich empor. An diesem hohen Ufer in das Städtchen jäh hinabfahrend, entfaltete sich vor unseren Augen eine unvergleichlich schöne Landschaft. Zur Rechten hatten wir tief unter uns den rauschenden Llobregat, links den zu bedeutender Höhe

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „II.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_204.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)