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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Weltgeschichte an der Donau.

Das über dem osmanischen Reiche aufgestiegene schwere Gewitter hat sich noch nicht entladen, der erste Kanonenschuß ist noch nicht gefallen, gleichwohl aber ein Zustand herbeigeführt worden, der wenn auch nicht so viel wie Krieg, doch weit weniger als Frieden ist. Aller Augen sind zur Stunde nach dem Orient gerichtet.

Zwar wechseln die Cabinette noch Noten, deren vorwiegend friedlicher Charakter nicht zu verkennen ist; auch arbeitet sich noch die Diplomatie mit süß lächelndem Gesicht an Vermittelungsvorschlägen ab; daneben aber thürmen sich die Thatsachen verhängnißschwer auf. Die ungeheuern Rüstungen Rußlands und der Türkei, der auf beiden Seiten geweckte religiöse und nationale Fanatismus, mehr noch aber die Besetzung der Moldau und Walachei durch die Russen, und das hierauf erfolgte Erscheinen der englischen und französischen Flotten in der Besikabai, unweit der Einfahrt in die Dardanellen, haben das Werk der Verständigung, die man noch immer anstrebt, zu einer schweren Aufgabe gemacht. Der bisherige Verlauf zeigt uns in Allem die westlichen Mächte zaudernd gegenüber dem entschiedenen Vorangehen Rußlands.

Bukarescht.

Das geharnischte Manifest des russischen Kaisers vom 14/26. Juni kündigte die Besetzung der Donaufürstenthümer an, die auch bald darauf am 2. Juli durch den Uebergang der Russen über den Pruth erfolgte. Schon am 15. desselben Monats rückten die kaiserlichen Truppen in Bukarescht, der Hauptstadt der Walachei ein. Die militärische Besetzung dieser Fürstenthümer betrachtet Kaiser Nikolaus als Garantie für die Erfüllung seiner an die Pforte gestellten Forderungen, welche in der Hauptsache bekanntlich auf das beanspruchte religiöse Protektorat über die Bekenner der griechischen Kirche in der Türkei hinauslaufen. Daß der russische Kaiser seine Truppen in die Fürstenthümer einmarschiren lassen konnte, ohne gerade der hohen Pforte offnen Krieg anzukündigen, daß dieser Einmarsch von den mit dem Sultan verbündeten (?) Engländern und Franzosen nicht als Kriegsfall angesehen und für die Türkei überhaupt nicht das Signal zum Kriege wurde, liegt in den eigenthümlichen Verhältnissen der Fürstenthümer, die man kaum noch als Bestandtheile des osmanischen Reiches betrachten kann.

Die Moldau und Walachei liegen zwischen dem Pruth und der Donau, welche beide Flüsse Grenze bilden, und werden weiter von Ungarn und Siebenbürgen begrenzt. Die Moldau zählt auf circa 750 Q. M. ungefähr 700,000 Einwohner, die Walachei, welche in die große und kleine Walachei zerfällt, deren vielleicht 21/2 Million auf circa 1300 Q. M. Die Einwohner bekennen sich größtentheils zur griechischen Kirche. Der Boden beider Länder ist äußerst fruchtbar; Getreide, Obst und Wein wächst in üppiger Fülle; die Wälder enthalten das prachtvollste Schiffsbauholz,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_347.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)