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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

setzte. Ich wünschte daher davon abzubrechen, und verfuhr vielleicht nicht ganz geschickt dabei, wie Ihr Mißfallen mir andeutet.“

„Sie folgten der Mode. Sie sprachen wie die Welt es lehrt; wer aber eine höchste Wahrheit erkennt und sucht, der darf in diesem Tone nicht reden.“

„Ich gestehe das zu, aber – läßt es sich denn vermeiden, so lange man in der Welt lebt, nicht unwahr zu sein? – Die Höflichkeit ist meistens doch Lüge.“

„Die Höflichkeit der Welt – nicht die des Herzens, und das bleibt doch die erste Höflichkeit. – Außerdem giebt es aber für die Frauen noch so manche Regeln des Schicklichen, die alle in das Gebiet der Lüge streifen; darf ich Sie bitten, in Bezug auf diese über sich zu wachen?“

„Der Einzelne muß mit dem Strome schwimmen, Herr Piat.“

„Sagen Sie, der Einzelne darf nicht gegen den Strom schwimmen, so gebe ich Ihnen recht. Lassen Sie uns aber keins von Beiden thun, sondern am Ufer sitzen und von da aus in die Fluthen schauen.“

„Ist es aber nicht unsere Mission, das Leben mitzuleben, ein Glied in der großen Kette zu sein, Herr Piat?“

„Gewiß! – Aber das Glied kann einen stärkeren oder kleineren Ring haben, es kann sich bilden, wie es will.“

„Oder wie die Umstände es wollen.“

„Nicht doch, Verehrteste – wie soll, wie darf ich Sie nennen? Sagen Sie einen Namen, bei dessen Nennung ich mir Ihr Bild zurückrufe.“

„Nennen Sie mich Susanne.“

„Und weiter?“

„Reicht das nicht hin?“

„Nicht ganz. Schriftlich würde ein Vorname keine Dienste leisten.“

„So nehmen Sie meine Karte!“ sagte sie lächelnd, indem sie ihm ein Blättchen aus ihrem Etuis reichte und sich zugleich erhob, um die Loge zu verlassen.

„Sie gehen schon?“ sagte Piat und sah ihr mit vorwurfsvollem Blicke zu.

„Ein muß treibt mich von hinnen,“ sagte sie seufzend.

„Man muß nur das, was man zugleich aus Neigung thut,“ versetzte er einwendend.

„Meine Erfahrung hat mir leider immer das Gegentheil bewiesen, vielleicht aber geht es den Männern hierin besser. Vielleicht müssen Sie nur, wo sie auch wollen.“

„Und warum sollte eine Frau dies nicht ebenso können?“

„Sie kann es, aber sie wird ein Paria der Gesellschaft.“

„Aber doch nicht deshalb, weil sie die Oper eine halbe Stunde später verläßt, als Sie so eben beabsichtigen?“

„In meinem Falle, gewiß. Der Diener wartet meiner; um eilf Uhr kann ich mit Anstand heimgehen, um zwölf Uhr nicht.“

„Da habe ich wieder etwas gelernt,“ versetzte Piat mit leichter Ironie. „Also auch die Zeit hat ihr Sittenregister. Sei es denn! Sie haben dieses unerbittliche Gesetzbuch ja nicht entworfen, so muß ich Ihnen die Grausamkeit wohl verzeihen, die mich um eine schöne Lebensstunde ärmer macht. Vielleicht darf ich aber den Weg mit Ihnen zurücklegen? – “

„Gern, wenn Ihre Füße damit einverstanden sind.“

„Sie wurden nie berufen, mir einen lieberen Dienst zu leisten,“ versetzte Piat und bot der jungen Dame den Arm, um sie die enge Stiege hinab zu führen, die durch die Maschinerien der Coulissen hinter die Bühne führte, die man durchkreuzen mußte, um den Ausgang zu gewinnen. Hier sah es jetzt bunt aus. Man war mit Vorbereitungen zum Ballet beschäftigt, von allen Seiten her hüpften Nymphen und Götter und eilten der Bühne zu, um im Hintergrunde derselben noch einmal die Stellungen zu probiren, die das Publikum bewundern sollte. Niemand dachte dabei an den Andern, Jeder hatte augenscheinlich nur sich im Sinne, war nur auf seinen Erfolg bedacht und wenig bekümmert um das Ganze.

(Schluß folgt.)




Der Sund.

Die jüngsten Verwickelungen im Orient gaben uns in Nr. 24 der Gartenlaube Gelegenheit, auf die Bedeutung der Dardanellenstraße und des Bosporus hinzuweisen: heute führen wir den Leser an eine andere Meerenge, den Sund, der, wenn auch weit entfernt von dem Schauplatze, wo die türkische Frage spielt, doch für dieselbe eine nicht geringe Bedeutung hat. Sollte nämlich Rußland wegen der Türkei früher oder später in einen Kampf mit dem europäischen Abendlande verwickelt werden, so müßte es, um sich völlig frei bewegen zu können, vor irgend einer feindlichen Diversion in der Ostsee gesichert sein. Das Erscheinen einer bedeutenden feindlichen Seemacht in diesem Meere würde nicht nur die russischen Operationen zu Lande bedeutend hemmen, sondern auch die gesammten Küstenstädte, ja selbst die Hauptstadt St. Petersburg, ernstlich bedrohen. Der Schlüssel zur Ostsee ist nun aber der Sund, und nur durch diesen können die Feinde Rußlands in die Ostsee gelangen. Es ergiebt sich demnach, von wie großem Interesse es für Rußland ist, seine Politik in Dänemark, in dessen Händen sich der Sund befindet, zum entschiedenen Uebergewicht zu bringen, was ihm bisher auch vollständig gelang.

Der Sund, eigentlich Öresund, zieht sich zwischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_376.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)