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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Fußspitzchen einer Spinne zwei zwanzigzähnige Kämme und außerdem noch zahlreiche Härchen und Borstchen sein können. Das kleine Pünktchen in dem Kreise meines Bildchens giebt Dir, eher zu groß als zu klein, die natürliche Größe desselben an. Ueberhaupt das Mikroskop entdeckt uns nicht geringere Wunder und mehr verborgene Schönheiten als das Teleskop, durch dessen Hülfe die Astronomen eine Art Landkarte vom Monde gemacht haben. Im Kleinsten ist die Natur eben so groß, als im Großen und Gewaltigen.

Nicht alle Spinnenarten haben so ganz vollendete wahre Kämme an ihren Fußspitzen. Andere haben dafür blos mehrzähnige Haken und Klauen.

Sollte man nicht der verehrlichen Kammmacher-Innung empfehlen, eine Spinne auf ihr Innungs-Insiegel als Symbolum zu setzen?

Wo stecken nun die natürlichen Vorbilder für die Feile, Säge, den Hobel u. s. w.? Vielleicht kann ich Dir ein andermal etwas davon berichten.




Das Paradies in Central-Amerika.

(Aus dem Briefe eines in Nicaragua lebenden Deutschen.)

Du weißt, ich liebte stets schöne Natur, schöne Mädchen, schöne Kunst, aber nichts so treu und redlich, als das süße, holde Nichtsthun mit Cigarren dazu rauchen. Aber wo das dolce far niente, die süße Gewohnheit des Daseins (am Ende doch das Ideal und Ziel auch des fleißigsten Büffels) finden? Die Engländer haben zu viel zu thun, die Deutschen zu viel zu leiden, die Franzosen zu viel Purpur und köstliche Leinwand (auch bereits mit Baumwolle vermischt) zu bewundern. Unter diesen hielt ich es weder in Europa noch in Amerika aus. Alles ist Laden, Büreau, Geschäft, Schacher, Wucher, Geldmachen, Geldgeben hier wie dort. Ich sehnte mich nach einer Gegend, wo ich mit Ruhe ruhig sein könnte. So ich nicht arbeite, will ich doch essen und genießen, dachte ich. Ich war früher ganz anders, freilich; aber was kann ich dafür, daß mich die Schicksale in Deutschland und auf meinen Reisen so änderten? Ich bin nicht schuld, ich klage die Fleißigen an, daß ich so träge geworden bin. Nirgends kommt ein Mensch mehr zu sich vor lauter Arbeit, Plack und Qual. Nirgends hört man sein eigenes Wort vor all dem Maschinenlärm aus eisernen Rädern und von schwieligen Händen. In Amerika fand ich’s noch ärger wie in Deutschland. Ich dachte an Australien, aber nur eine Minute. Australien ist eben im Bau begriffen und Alles läuft und schreit und liegt durch einander und schneidet sich gegenseitig die Beutel, wohl auch die Hälse ab und steht bis an den Nabel in Schmutz und zerhackt die jungfräuliche Erdenhaut, um ihr das Gold auszuschneiden. Wenn Alles fertig ist, muß es wunderschön sein. Um etwas zu vollenden, muß man arbeiten. Ich aber wollte eine faule Bärenhaut, um von dem Lärm des Lebens auszuruhen und meine vielen innern Wunden zu heilen. Niemand darf sagen, daß man es mit solchen Grundsätzen nicht weit bringe in der Welt. Hab’ ich’s doch damit ziemlich weit gebracht, nämlich bis nach der Republik Nicaragua auf der andern, heitern, noch in seiner natürlichen Fülle und ewig lachenden Sonne mit dem süßesten Nichtsthun beschäftigten Seite Amerika’s, die sich im stillen Ocean spiegelt und immerwährend Confect, das die Natur bäckt und zuckert, dazu genießt. Wenigstens ist’s so bei mir zu Hause. Von Californien, Mexico und was sonst noch Alles auf dieser Seite liegt, rede ich nicht. Ich bin zu Hause, ich bin Bürger der Republik der Schlaraffen, wo man die gütigste, schönste Mutternatur beleidigen würde, wenn man etwas thäte, da sie in diesem Falle glauben könnte, ihre Gaben ständen uns nicht an. „Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder?“ Unsinn! Hier verblüht er niemals. „Pflücket die Rose, ehe sie verblüht?“ Wozu Rosen, die als Königinnen der Blumen in der Republik des Paradieses ohnehin Unruhe stiften und auf Umsturz der Verfassung duften könnten, da man hier das größte Treibhaus voll schönerer Blumen, Früchte, Vögel und anderer paradiesischer Thiere hat? Das Treibhaus, nicht mit einer Glas-, sondern mit der Himmelsdecke,[1] ist 3000 Geviertmeilen groß und die Republik Nicaragua selbst. Alles ist Garten, Blume, Duft und Frucht in einer stets luftigen Luft, die nie unter 18 Grad Réaumur sinkt und nie über 26 steigt. Letztere sind aber kaum so viel, als 18 in Deutschland, da der heiterste, lebenslustigste Zephyr stets von Westen kommt, er mag herkommen woher er will, nämlich stets vom Meere. Du mußt nämlich wissen, daß mein Paradies sich zwischen zwei Meeren hinzieht, dem stillen Ocean, an welchem Nichtsthun eine Cardinaltugend ist, und dem Nicaraguasee, der keine andere Beschäftigung hat, als dem Himmel, Sonne, Mond und Sternen als Spiegel zu dienen und die ganze Bevölkerung von Granada alle Morgen in seinen molligen Wassern herumplätschern zu lassen. Ich bin in der Regel auch dabei. Erst zögerte ich mit deutscher Tugend lange, mich der ländlichen Sitte anzuschließen; da ich aber bemerkte, daß ganz Granada, Alt und Jung, Arm und Reich (aber Arme giebt’s eigentlich nicht), Masculinum und Femininum mit der größten Naivetät und Anständigkeit in dem Wasser herumjauchzte und nur beim Ein- und Aussteigen überm Wasser von den Damen Stellungen angenommen wurden, die man an der medicäischen Venus bewundert

  1. Und dem 11. Grade nördl. Breite gedeckt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_388.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)