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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 37. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Bilder und Skizzen aus dem Erzgebirge.

1.0 Ein Harfenmädchen.

Breitenbrunn hatte heute einen seiner lustigen Tage, nach der Kirmes den lustigsten im Jahre. Es war der weiße Sonntag; der hielt noch Alles, was Breitenbrunnisch hieß, beisammen; von morgen an aber zog Eins nach dem Andern, was eine Saite rühren oder eine Pfeife blasen konnte, hinaus in die weite, weite Welt, zu singen und zu spielen überall, „soweit man deutsche Lieder singt.“ Denn Schaaren von Musikanten (Schaller oder Schallstifte, wie sie wohl auch sich nennen), männlichen wie weiblichen Geschlechtes, sendet Breitenbrunn alljährlich um diese Zeit in ferne Länder aus und sieht sie nicht eher wieder, als bis der Herbstwind über die Haferstoppeln fährt und der Herr Pastor die Kirmespredigt studirt. Der weiße Sonntag ist daher das Abschiedsfest für die musikalischen Zugvögel und ihre Angehörigen, und da alle Musikanten in aller Welt ein lustig Volk sind, mithin auch in Breitenbrunn, so halten sie ihren Abschied nicht unter Klagen und Seufzern, sondern mit Jubel und Tanz. So auch heute. Wo nur ein gedieltes Plätzchen war, da sich drei Pärchen im Kreise drehen konnten, da gab’s Musik und Tanz, da war „Leben und Lebenslust vollauf.“

Nur ein Haus schien von der allgemeinen Freude ausgeschlossen zu sein, oder besser nur eine Hütte, die alleräußerste draußen nach der „Unruh“ zu, da, wo die beiden Wiesenbächlein sich zum „Ortbach“ vereinigen. So einsam, wie sie lag, so still war es darin; ja hätte nicht der säulengerade aus dem Schornsteine aufsteigende Rauch dem widersprochen, so hätte man glauben mögen, die Hütte wäre ausgestorben. Und doch hauste auch hier ein an dem Abschiedsfeste sehr nahe betheiligtes Paar: eine Mutter, die daheim blieb, und eine Tochter, die morgen mit ihrer Harfe hinauszog, wer weiß wie weit und auf wie lange Zeit! Sie hatten einander so lieb und waren noch nie getrennt gewesen; es war das allererste Mal, daß das siebzehnjährige Röschen mit in die Fremde wanderte – darum waren sie so still, darum saßen sie beisammen und waren so traurig und konnten nicht begreifen, wie man anders sein könne, wenn zwei Herzen von einander scheiden: ein Mutterherz und ein Tochterherz!

Das Mutterherz zumal war aufgelöst im heißen Abschiedsweh. Und mit Recht! Es dachte an die Gefahren, welchen das geliebte Kind in der argen Welt draußen entgegenging. Und dies Kind war ja das einzige Liebespfand, das sie von dem gestorbenen Gatten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_393.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)