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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Da kann ich Ihnen vielleicht auf die Spur helfen,“ sagte Jener. Er nahm das Medaillon aus seiner Tasche und hielt es dem Fremden hin.

„Mein Gott! mein Gott!“ rief dieser, „woher haben Sie das?“

„Das soll ich freilich Niemand sagen,“ antwortete der Gefragte; „aber wenn Sie sich als Eigenthümer ausweisen, so muß ich es Ihnen sagen.“

„Das kann ich nicht,“ erwiederte der Reisende. „Es war einmal mein Eigenthum, ist es aber nicht mehr. Kommen Sie mit auf mein Zimmer, da will ich Ihnen Alles erklären.“

Es stellte sich nach kurzen Erklärungen von beiden Seiten heraus, daß der Fremde, in dem der Leser längst unsern Richard Saldern wieder erkannt hat, wirklich dem lange gesuchten Ziele seiner Pilgerfahrt nahe war. Bei der Enthüllung der Art, wie das Medaillon in seine Hände gekommen, hatte der Goldschmied nicht unterlassen zu erwähnen, daß nur die äußerste Noth, nur die Todesgefahr einer Verwandten Röschen dahingebracht habe, das Kleinod zu versetzen; ja, auch das vergaß er nicht hinzuzufügen, daß sie es mit bitterm Schmerze gethan, daß sie das Bild zwar verstohlen, aber von ihm doch bemerkt, unter Thränen geküßt habe.

„Auf! auf! nach Breitenbrunn!“ rief Richard, seines Entzückens nicht Meister. „Und Sie, werther Herr, thun mir den Gefallen und begleiten mich mit dem Medaillon. – Es wird doch gleich wieder Extrapost zu haben sein?“

Der Meister Goldschmied war als ein ächter Gebirgsmann gleich bereit, den glücklichen Fremden nach seinem Eldorado zu begleiten. Bald waren beide auf dem Wege dahin.

„Grüß dich Gott. Grüß dich Gott! fein’s Liebchen!“ blies der Schwager, als die Post in Breitenbrunn ihren Einzug hielt. Soll ich Röschens freudiges und doch auch banges Erschrecken schildern, das sie bei diesem Klange durchzitterte – das Jauchzen ihrer ganzen Seele, des Busens Ebb’ und Fluth, als der Wagen an ihr Haus fuhr, vor ihm hielt und niemand anders ausstieg, als ihr Geretteter, ihr Freund, ihr – doch das wagte sie selbst nicht zu denken, was er ihr noch war – Niemand anders, als er und der Goldschmied? Mithin wußte er schon – o sie hätte sich mögen tief in der Erde verbergen vor Scham, und doch auch ihm entgegenfliegen mit ausgebreiteten Armen. So stand sie wie eingewurzelt in des Zimmers Mitte. Die Thür ging auf – da stand er vor ihr. Soll ich, kann ich sagen, wie ihr wurde, als er ihr das Bild des Vaters umhing und das seinige dazu, zum ewigen Andenken, wie er, ihr die Stirn küssend, sagte. „Wie glücklich,“ fügte er hinzu, „wie glücklich bin ich, daß, da ich es nicht selbst sein konnte, wenigstens mein Bild das Werkzeug zur Rettung einer lieben Verwandten geworden. Ach, liebes Röschen! werthe Mutter! wollen Sie mich nicht auch wie einen Verwandten betrachten? O, Ihr armen, und doch durch Liebe so reichen Menschen, Ihr guten, frommen Herzen! nehmt mich doch auf in Euern kleinen, stillen Kreis und laßt mich Einer von Euch sein und nimmer von Euch ziehen!“

O Gott! Ich fühl’ es in tiefster Brust und weiß es doch nicht zu sagen, wie da dem armen Mädchen wurde, und dem guten Mütterlein, und der Muhme, und dem wackern Goldschmied dazu! Sie weinten alle mit einander – aber Niemand gab Antwort auf die Frage und Bitte des Fremdlings – Röschen nicht vor namenlos süßem Wirrwarr in allen Kammern ihres Innern, die Mutter nicht, weil sie an ihre Armuth und Niedrigkeit dachte. Endlich nahm der Goldschmied das Wort: „Das kann ich nicht länger so mit ansehen. Der gute fremde Herr kommt da wohl hundert Meilen weit her gereist, dem Mädel zu gefallen, und hat sie gesucht kreuz und quer. Nun thut er das doch nicht vor lieber Langeweile, sondern weil er das Rösel liebt – und sie liebt ihn auch, das weiß ich – und da dächt’ ich, Sie nähmen seine Hand, Frau Goldhahn – so – und legten sie in die Ihrer Tochter – so – und so verlobten wir sie; das wird beiden recht sein und dem lieben Gott auch.“

So war es. Richard und Röschen wurden ein Paar nach Gottes Wohlgefallen. Er vermochte die Schwiegermutter, ihr Häuschen der alten Muhme zu schenken, kaufte in einer etwas mildern, aber nicht fernen Gegend des Gebirges ein hübsches Hammergut und gründete da sich, seinem Weibchen und der Mutter eine neue Heimath, die eine Zuflucht aller Bedrängten, eine Herzensweide aller guten Menschen wurde. A. P. 




Irland und Italien in London.

Die Bettler in London. – Ein Sohn Irlands. – Charakteristik seines Anzugs. – Der Irländer, ein geborner Bettler. – Was England an Irland verschuldet. – Das Land der Citronen. – Italienische Jammergestalten. – Handel mit italienischen Knaben. – Geschichte eines italienischen Bettlerknaben.

Ich fand vor einiger Zeit zufällig in einem alten englischen Buche die Andeutung, daß Nichts so vortrefflich den moralischen Gehalt eines Volkes charakterisire, als das Aussehen und Benehmen seiner Bettler. Dies veranlaßte mich, dem Gegenstande eine genauere Aufmerksamkeit zu schenken, und ich fühle mich zu dem Geständniß berechtigt, daß jene Bemerkung in jeder Beziehung wahr und treffend ist. Man wandere durch die Straßen der englischen Riesenweltstadt und betrachte die unglücklichen Armen aller Nationen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_409.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2020)