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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

aber gottlob nicht der Fall gewesen, sondern sie dehnt sich immer weiter aus.

Die Thüringer Industrie hat Talent und Neigung für die sogenannten Kurzwaaren, für die Artikel der sogenannten Tabletterie und Quincallerie. Allerliebste Kleinigkeiten und zuweilen Nichtsnützigkeiten können wir allenfalls mit ihren ursprünglichen französischen Namen bezeichnen. Elfenbein, Perlamutt und Meerschaumschnitzereien, Kämme und Körbchen von Horn und Fischbein, wohlriechende Seifen in allerlei Formen, lackirte Dosen und muschelnverzierte Kästen, Hamburger Zuckerbilder und jene Fülle der Fruchtbonbons, wie sie jetzt unsere Kinderchen so lüstern machen, Honigkuchen und Chocolade, Brochen, Ringe und Nadeln in bunter Mannigfaltigkeit waren von einer Menge Orten her ausgestellt. Wo, wie in Thüringen, des Kinderspielzeugs so mancherlei gefertigt wird, kann es nicht fehlen, daß man für allerlei Damenspielzeug sorgt. Nun gut, wenn es keine Männerherzen sind! – Damenschuhe und Stiefelchen von Gotha und Erfurt sind fast am ganzen Rhein, sogar überm Rhein und über See berühmt. Hunderte von Mädchen beschäftigen sich in diesen Städten mit der Schuhmacherarbeit, so weit es ihnen von der hochmögenden Innung gestattet wird. Denn die fleißige und geschickte Frauenhand wird von den gestrengen Meistern der Frauenschneider und Damenschuster sehr unliebsam angesehen, wenn sie sich beigehen läßt, Arbeiten zum Behufe weiblicher Bekleidung zu machen, für die sie doch so recht eigentlich geschaffen ist. Dahingegen hat die Frauenarbeit die Handschuhe so ziemlich allein in Beschlag genommen.

Wir hätten in den oberen Räumen der Ausstellung nun noch gern eine hübsche Auswahl von allerlei Damenputz, Stickerei, Pelzwaaren, Kleider und Mäntel, Borden und Bänder, Knöpfchen und Schnuren betrachtet, aber wir müssen uns beschränken auf die weitverbreitete Manufaktur der Zwirn- und Leinenhemdeknöpfe in Ohrdruf und Waltershausen, sowie auf die in große Ferne vertreibende Fabrikation von hanfenen Schlauchwaaren von Burbach in Gotha, Schaft in Waltershausen hinzuweisen. Thüringischen Spritzenschläuchen und Feuereimern begegnet man überall. Ueber den geräumigen Schloßhof, auf dem ein zweiter Glaspalast stehen könnte, wandeln wir hinweg in die Hallen, wo die Maschinen landwirthschaftlicher Geräthe, Wagen und größere Gegenstände der Kunst-Eisengießerei ausgestellt sind. Hier bemerken wir mit Vergnügen die Leistungen der Maschinenfabrik, der Eisengießerei und Kesselschmiede von Moritz Jahr in Gera, so auch der Maschinenwerkstatt von J. Quera und Comp. in Erfurt. Die Industrie Thüringens wartet mit Verlangen auf Maschinenunterstützung, wenn Einzelne dies auch noch nicht recht zugestehen wollen und sich eher der Maschinen erwehren möchten.

Der Thüringischen Landwirthschaft wird von Eduard Wolf in Gotha eine Reihefolge vortrefflicher Acker- und Hofgeräthe geboten, welche eine Zierde der Ausstellung waren. Es ist nöthig, daß wir auf diese und ähnliche Dinge der Ausstellung hinweisen, weil sie gemeiniglich von der großen Zahl der Lustwandelnden in den Ausstellungsräumen übersehen werden, deren Augen mehr auf Gegenstände des Luxus und des unmittelbaren Gebrauchs fallen.

Am Ausgange stehend werfen wir noch einmal den Blick auf jene hohen Räume denkend zurück, in welchen der deutsche Kunst- und Gewerbfleiß in den Thüringischen Marken so gastfreundlich aufgenommen wurde und dann schauen wir auf das herrliche wald- und bergreiche Gelände rings umher, in dem so viele rüstige Männer, so viele liebe Menschen wohnen.

Lebt wohl! in München nächsten Jahres, will’s Gott, sehen wir uns wieder!




Blätter und Blüthen.

Noch ein türkischer Kaiser. In der gegenwärtigen Krisis der türkischen Verhältnisse dürfte die Mittheilung nicht ohne Interesse sein, daß in irgend einem Winkel der Erde – wo, können wir für den Augenblick nicht angeben – ein türkischer Kron-Prätendent lebt, der durch ungewöhnliche persönliche Vorzüge, durch die für einen Orientalen ganz ungewöhnliche Vielseitigkeit seiner Bildung, namentlich durch die Kenntniß der meisten europäischen Sprachen im hohen Grade die Aufmerksamkeit englischer Touristen im Orient auf sich gezogen und später auch, nach Bekanntwerden seiner Ansprüche, das Interesse der englischen und französischen Presse erregte. Er nennt sich Nadir Bei und ist der Sohn eines ältern Bruders des verstorbenen Sultans Mahmud, der von Nadir Bei als Mörder seines Vaters bezeichnet wird. Durch die Großmuth eines der Meuchelmörder mit seiner Mutter aus dem allgemeinen Blutbade im Harem gerettet, erhielt er im Hause eines reichen Türken, der seine Herkunft kannte, eine glänzende Erziehung, ging dann nach dem Tode seiner Mutter und seines väterlichen Freundes mit den Diamanten und Papieren seines hohen Vaters nach Morea, von da unter dem angenommenen Namen nach Rußland, studirte hier, wie er selbst oft sagte, „die Macht, Politik, die Gesetze und Schwäche der Hülfsquellen und auch die Regierungsformen seines Erbfeindes“ und blieb dann einige Zeit in Polen und Lemberg, um die Theorien der Kriegskunst zu erlernen. Rache und Liebe zogen ihn in’s Vaterland zurück, wo er indeß vorläufig die Rachegedanken aufgab, als er die Reformbestrebungen seines Onkels erkannte.

In Konstantinopel entdeckte er sich einigen hohen Beamten der Pforte, u. a. auch dem Reis Effendi, die das Geheimniß zwar bewahrten, aber ihn mit Zärtlichkeiten aller Art überschütteten. Er ward zum Commandanten eines Reiterregiments ernannt und stand bald darauf in Adana an der Spitze einer Heeresabtheilung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_461.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)