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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Absolution und der Geistliche entfernte sich, damit das blutige Werk seinen Vollzug nähme.

Der Verurtheilte richtete sich stolz empor, das Gesicht gegen Palermo und den Rücken gegen den Pellegrino gewandt. Der Korporal und die neun Mann machten zehn Schritt zurück, ein „Halt!“ ertönte und sie stellten sich auf.

Dieses feierliches Schweigen herrschte weithin. Der Verurteilte kommandirte mit fester und ruhiger Stimme: „Ladet!“ „Fertig!“ „Feuer!“ und sank bei dem letzten Worte, von sieben Kugeln durchbohrt, ohne einen Laut auszustoßen zusammen.

Die Neapolitaner triumphirten, denn die Nationalehre war gerettet.

Die Sicilianer gingen verstimmt nach Hause, und ärgerten sich, daß ein Neapolitaner so wacker sterben könne. – – –

Wir sind jetzt dem Leser die Mittheilung des Mittels schuldig, durch welches der Regimentsprediger den feigen Neapolitaner so muthig und entschlossen zu machen gewußt hatte. Wie schon erzählt worden, hatte Paoli, als ihn der Regimentsprediger am Abend vorher besucht, gejammert und wehgeklagt, indem er gemeint, das letzte Stündchen sei nun gekommen. Anstatt jedoch den Gefangenen auf den Tod vorzubereiten, kündigte ihm der Prediger an, daß der König ihn begnadigt habe.

„Begnadigt?“ rief Paoli, die Hände des Priesters fassend; „begnadigt?!“

„Begnadigt!“

„Was! ich werde nicht erschossen werden? Was! ich werde nicht sterben? werde am Leben bleiben?“ frug der Gefangene, dem die Kunde kaum glaublich schien.

„Ganz und gar begnadigt,“ versetzte der Priester; „nur hat Se. Majestät um des Beispiels willen eine Bedingung gestellt.“

„Welche?“ frug der Soldat ängstlich.

„Es müssen nämlich alle Vorbereitungen zu der Exekution getroffen werden, gerade so als ob sie wirklich stattfände. Sie werden heute Abend beichten, als ob Sie morgen sterben sollten; man wird Sie abholen, wie wenn Sie nicht begnadigt wären; Sie zum Richtplatz fuhren, wie wenn Sie erschossen werden sollten. Damit endlich auch das Beispiel vollständig sei, wird man sogar auf Sie feuern, allein die Gewehre werden nur mit Pulver geladen sein.“

„Verhält es sich auch gewiß so, wie Sie sagen?“ fragte der Verurtheilte, dem ein Theil dieser Procedur als ganz überflüssig vorkam.

„Welchen Grund könnte ich haben, Sie zu hintergehen?“ entgegnete der Priester.

„Das ist richtig,“ meinte der Soldat. „Also, ehrwürdiger Vater, bin ich begnadigt? Es ist gewiß, daß ich nicht sterben werde?“

„Mein Wort darauf.“

„Nun denn, so lebe der König! der heilige Januarius! die ganze Welt!“ rief Paoli, indem er fröhlich in seinem Gefängniß umhertanzte.

„Ei, ei, was machen Sie, mein Sohn? was stellt das vor?“ rief der Mönch. „Vergessen Sie denn, daß es mir verboten war, Ihnen dieses Geheimniß zu verrathen, und daß Niemand etwas von Dem, was ich Ihnen gesagt, ahnen darf, hauptsächlich aber der Schließer nicht.“

Paoli sah die Richtigkeit des Gesagten ein, kniete nieder und beichtete. Der Priester ertheilte ihm die Absolution. Ehe dieser sich hierauf entfernte, fragte ihn der Gefangene nochmals, ob sich auch Alles wirklich so verhalte, wie er angegeben. Der Priester bestätigte seine Worte wiederum und ging.

Der feige Soldat konnte nun muthig zum Tode schreiten, da er das Ganze für eine Komödie hielt. Der List des Priesters aber war es gelungen, die Nationalehre der Neapolitaner zu retten.




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Vierzehnter Brief.
Das Holz und die Bildung.

Ich habe es oft bemerkt, daß man eine neu ankommende Nummer einer illustrirten Zeitschrift, ehe man zu lesen anfängt, nach den Bildern durchblättert, die man vornehm Illustrationen nennt. Erst wenn dem Auge sein Recht geschehen, kommt der Geist daran. Hat denn aber auch das Auge vor dem Geiste ein Recht? Was meinst Du, Freund? Hat es eins? Ich bin bestimmt der Meinung. Es hat ebenso bestimmt eins, wie die Hausthür ein Recht vor dem Zimmer hat. Die fünf Sinne sind die fünf Hausthüren, durch deren ein Jegliches eintreten muß, was zum Geiste will. Unser Sprüchwort: „was das Auge sieht, das glaubt das Herz“, ist durch und durch Wahrheit; nur ist in demselben der edelste Sinn für alle Sinne gesetzt worden.

Darum erfreuen sich auch illustrirte Bücher und Zeitschriften einer so großen Gunst bei den Lesern. Es ist sicher nicht blos die Freude an den Bildern,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_470.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)