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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 44. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Gott verloren – Alles verloren.

Ein Seelengemälde nach Familienpapieren mitgetheilt von Ferdinand Stolle.
(Schluß.)


Eines Morgens, als ich ermattet aufwachte, wandelte mich plötzlich die Sehnsucht an, nach der Kirche zu gehen. Es war Sonntag. Schwarz gekleidet, gesenkten Hauptes schritt ich nach dem Gotteshause. Viele Leute, die mir begegneten, grüßten mich achtungsvoll als Clemence’s Freundin. Ich hörte, wie man meine aufopfernde Freundschaft für Madame Falk rühmte. Ich hätte mögen vor Scham in die Erde sinken. Diese Beweise von Achtung beugten mich tiefer, als es offene Verachtung gethan haben würde. Gleichwohl hätte ich um keinen Preis der Welt ein offenes Geständniß meiner Schuld abzulegen vermocht. Ich trat in die Kirche. Voll und erhaben schlug der Orgelton an mein Ohr. Das herzdurchdringende Confiteor! einer mächtigen Baritonstimme schüttelte mich wie Fieberfrost und machte mich erbeben wie Espenlaub. Confiteor! tönte es nochmals mahnend und warnend. Ich faltete inbrünstig die Hände und betete zum ersten Male aus voller Seele. Ich demüthigte mich büßend vor Gott. Aber sollte ich auch der Welt meine Sünde bekennen? Nein, das vermochte ich nicht. Sowohl mein Stolz, wie meine Liebe zu Constantin sträubten sich wild dagegen. Mir war der Verlust seiner Liebe und Achtung schrecklicher als der Tod. Hätte es sich blos um mein Leben gehandelt, wäre mir die Wahl nicht schwer geworden.

Etwas beruhigt und getröstet verließ ich die Kirche. Unterwegs kam mir von Neuem der Gedanke: Wie kann ich ein Leben voll heilbringender Thätigkeit beginnen? Kirche gehen, beten, ein Kloster bereichern? Das konnte Goethe unmöglich gemeint haben. Andere Vorsätze kamen in meinen Sinn. Ich reiste zurück nach meinem Gute Waldenheim und begann damit, hierselbst und in der Umgegend gemeinnützige Anstalten in das Leben zu rufen. Das mir von Neuhaus hinterlassene Kapital verwandte ich auf Erbauung eines Waisenhauses. Durch Errichtung einer Fabrik bemühte ich mich, Arbeitlosen Arbeit und Brot zu verschaffen. In Verbindung mit benachbarten Edelleuten bewerkstelligte ich Verbesserungen im Dorfschulwesen. Bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_475.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)