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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

der Nürnberger Geschichte, von welchem ich Ihnen sagte, behandeln werde, sichert mir nicht nur den Verleger, sondern auch die Theilnahme eines großen Publikums.“

Der Herr Professor war während seiner rührenden Mittheilung fast gemüthlich geworden. Die rauhe Strenge aus seinen Zügen war verschwunden; er sah mich mit unverkennbarer Theilnahme an. Diese steigerte sich durch meine ihm mysteriöse Aeußerung noch mehr. Er rückte mir näher und fragte mich fast erstaunt, indem er mir freundlich die Hand reichte: „So, so! Nun auf welche neue Art behandeln Sie denn die Geschichte, daß sie aus Ihrer Feder so großes Interesse erweckt?“

„Ich will einen historischen Roman schreiben, der theilweise in Nürnberg zu der angegebenen Zeit spielt,“ antwortete ich ganz unbefangen.

Es wäre vergeblich, den Ausdruck beschreiben zu wollen, welchen das neugierige, leicht schmunzelnde Gesicht des Professors in dem Augenblicke annahm, als mir das Wort „Roman“ entschlüpft war; er war aus stupidem Staunen, Schrecken, Zweifel und Zorn gemischt. Die weißen Fleischmassen hingen schlaff herab, das Auge schoß einen düstern unheimlichen Blick auf mich; er trat einen Schritt zurück, und fragte, als traue er seinen Ohren nicht, hastig und barsch: „Was wollen Sie schreiben?“

Ich erschrak über den Ton dieser Stimme, über den Ausdruck dieser Züge, über die plötzliche Verwandlung des Mannes, und versetzte fast kleinlaut: „Einen historischen Roman in der Weise Walter Scott’s.“

„Einen Roman aus der Nürnberger Geschichte!“ brauste jetzt der alte ehrwürdige Professor auf, und Stimme, Blick und Bewegung des Mannes wurden wirklich furchtbar und drohend. „Einen Roman aus der Nürnberger Geschichte!“ wiederholte er noch einmal, aber jetzt zitterte die Stimme vor Zorn und Aufregung. „So sind Sie wohl ein Romanschreiber?“ schrie er auf.

Nie wohl hat ein junger Mann mit weniger Eitelkeit bekannt, daß er schon einige Romane geschrieben habe. Kaum aber war dieses Bekenntniß, fast wie das Geständniß eines Verbrechens abgelegt, als Professor Siebenkees alle Schranken seiner Entrüstung fallen ließ.

„Und Er kann sich unterstehen, meine Thürschwelle zu überschreiten und mich anzugehen, was Er in seine Schmiererei aus der Nürnberger Geschichte aufnehmen kann? Ich, ich soll Ihm die Hand zu solchem Skandal bieten? Ich, der Professor der Geschichte? Ich, der geborne Nürnberger? Den Augenblick pack’ Er sich aus meinen vier Wänden, Er unverschämter Mensch, oder ich vergreife mich an Ihm und werf’ Ihn hinaus. Fort! fort! Romanschreiber!“

Ueber diese plötzliche und unerwartete Wendung des erst so harmlosen Zwiegesprächs auf’s Aeußerste bestürzt, fand ich kein Wort weiter, als den bittenden Zuruf: „Herr Professor!“ Ich fühlte wie ich erbleicht war. Aber der gelehrte Greis schäumte vor Wuth. „H'naus - h'naus!“ schrie er wüthend. Die eine Hand streckte er nach mir aus, mit der andern schwang er mir das spanische Rohr so drohend vor der Nase, daß ich ernstlich fürchtete, er möchte mich schlagen. Ich griff rasch nach meiner Kopfbedeckung und eilte was ich vermochte, aus der Thür, begleitet und verfolgt von den Schmähungen des entrüsteten Mannes, der ganz außer sich darüber war, daß ein Romanschreiber es gewagt habe, zu ihm zu kommen und ihn um seine literarische Unterstützung zu bitten. Erst als ich auf der Straße war, bemerkte ich, daß ich in der Bestürzung meinen Stock im Zimmer des grimmigen Alten stehen gelassen hatte. Ich konnte und mochte ihn nicht entbehren und kehrte deshalb zurück. Auf dem Vorsaal stand die alte Haushälterin zitternd und bebend und machte bei meinem Wiedererscheinen eine abwehrende Bewegung des Schreckens gegen mich. „Was wollen Sie denn wieder, Sie gottloser Mensch?“ zeterte sie fast weinend.

„Meinen Stock! Holen Sie ihn mir aus dem Zimmer!“

„So hat den Herrn Professor noch kein Mensch geärgert wie Sie. Er kann sich ja gar nicht wieder fassen und wird sicherlich wieder krank werden. Was haben Sie ihm denn nur gethan, daß er so bös geworden ist?“

„Holen Sie mir den Stock!“

Die Zimmerthür wurde aufgerissen, der schwer beleidigte Professor schleuderte mir meinen Wanderstab vor die Füße. Ich hob ihn auf und trollte mich.

Ich war noch zu jung und zu empfindlich, als daß mir die tragikomische Geschichte nicht Nürnberg hätte verleiden sollen. Sehr verstimmt eilte ich in meinen Gasthof, schnürte mein Bündel und verließ die Stadt in einer sehr unangenehmen Stimmung, für die ich wenig Stunden früher so poetisch geschwärmt hatte. Meine Begeisterung war von einem eiskalten Strome abgekühlt worden. Es ist übrigens dies das einzige Mal, daß mir die Thüre gewiesen worden ist. Ein deutscher Professor that es, weil ich ein deutscher Romanschreiber war, und er hätte mich nicht verächtlicher behandeln können, wenn ich der Freiknecht selber gewesen wäre.




Blätter und Blüthen.

Die amerikanische Offiziersfarm. Wenn Du von einem der Häfen am westlichen Gestade des Michigansee’s westlich nach dem schönen romantischen Winnebagosee wanderst, so triffst Du wenige Meilen vom Landungsplatze an der frequenten Straße ein kleines Farmehaus (Bretterhaus mit innen gegypsten Wänden) mitten im Walde. Obgleich eine Fläche von circa 12 Ackern hinter dem Hause abgeklärt und das Haus selbst schon zwei Jahre aufgebaut, so ist die allernächste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_482.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)