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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 45. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Der Möwenberg bei Schleswig.

Von Ernst Willkomm.


Gegenüber der Stadt Schleswig, mitten im breiten Schleistrome liegt eine kleine unfruchtbare Insel, in deren hohem Binsengrase zahllose Möwen nisten. Sie heißt „der Möwenberg“ und hat gegenwärtig gar keinen Werth für Schleswigs Bewohner. Wohl aber knüpfen sich an diesen von der salzigen Meerfluth umspülten wüsten Erdfleck bedeutsame historische Erinnerungen, die nicht verloren gehen werden noch vergessen werden dürfen, so lange der Name Schleswig fortlebt in der Geschichte. Oben im Norden, an den Küsten der Ost- und Nordsee, in der fruchtbaren Marsch wie auf der dürren Geest, wo der Wind mit mannshohem Haidekraut spielt, kennt diese Erinnerungen, die Verschmelzung von Sage und Geschichte darin ein Jeder, in Innerdeutschland aber, wo man sich bis zum Jahre 1848 um Schleswig gar wenig kümmerte, dürften auch nur Einzelne von den Sagen und Geschichten des Möwenberges etwas gehört haben. Für solche im Innern Deutschlands wohnende Leser will ich deshalb das Nachstehende erzählen. Man glaube nicht, daß ich eine Geschichte in romantischer Umhüllung den Lesern vorführe oder eine Novelle, auf historischem Grunde ruhend; ich gebe nur einfache Thatsachen in schmuckloser Darstellung, wie uns alte Chronikbücher dieselben überliefert haben oder wie die Tradition sie von Geschlecht zu Geschlecht weiter trägt. Es vollzieht sich aber in dieser Verschmelzung von Geschichte und Sage ein Gottesgericht, wie die kühnste Phantasie eines begabten Dichters es ergreifender nicht erfinden könnte. Und weil zugleich an dieser Sagengeschichte das Wohl und Wehe eines ganzen Landes und Volkes sich emporrankt, will ich vor den Augen deutscher Landsleute die wappen- und helmgeschmückten Deckel zweier Königssärge öffnen, deren längst vermoderte Bewohner bei ihrem Lebzeiten sich eine traurige Berühmtheit erwarben. –

Im dreizehnten Jahrhundert erhob sich auf dem Möwenberge in der Schlei eine stark befestigte Burg, deren Zinnen weit in’s Land hinein sichtbar waren. Ueberhaupt gab es damals in der Nähe der Stadt Schleswig eine Menge Burgen, von denen noch heute einige Spuren zu entdecken sind. Man zählte deren um die Zeit der größten Blüthe Schleswigs sieben. Die Herzöge von Schleswig oder Süderjütland, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_485.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)