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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Zweifel ist sie bei den Schnecken am elegantesten gebaut und zwar bei jeder Gattung anders, so daß ich oft über über den Erfindungsgeist der Natur in so kleinen Dingen gestaunt habe.

Du darfst Dir übrigens auf meine heutige Zeichnung was einbilden, denn meines Wissens ist die Zunge der Kreismundschnecke noch niemals abgebildet worden.




Blätter und Blüthen.

Aus der Pariser Welt. Es ist eine auffallende Erscheinung, daß in Paris namentlich das schöne Geschlecht lebhaft Partei für die Sache des Halbmondes ergreift; in einem Salon der Chaussee d’Antin war ich gestern Abends Zeuge, daß das Projekt einer der höchsten Finanz-Aristokratie angehörigen Dame, einen „Türken-Verein“ zu bilden, von dem ganzen schönen Kreise mit Enhusiasmus aufgenommen wurde. Wie sich doch die Zeiten ändern! Vor einigen zwanzig Jahren zupften in Paris und in ganz Europa tausend schöne Hände Charpie für die Griechen, welche gegen die Türken kämpften und in aller Kürze werden wir vielleicht erleben, daß ein gleiches für die Türken geschieht. Ich habe viel darüber nachgedacht, um einen plausiblen Grund für die plötzliche Türken-Sympathie der schönen Pariserinnen zu finden, und glaube denn, daß diese Sympathie besonders dadurch hervorgerufen wurde, daß der Czar jetzt schon bald neun lange Monate die ganze Männerwelt mit der orientalischen Frage beschäftigt hat. Das schöne Geschlecht hat sich über diese Frage vernachlässigt gesehen, darob der Russenhaß und die Türken-Sympathie. In den Cirkeln der verführerischen Camelien-Damen und Marmor-Mädchen herrscht ein großer Schrecken ob der Möglichkeit eines Bruches mit Rußland. Es ist bekannt, daß seit einigen Jahren die russischen Prinzen und die polnischen Grafen beinahe gänzlich die englischen Lords in diesen Kreisen verdrängt und daß russische Rubel dort jetzt besseren Cours haben, als englische Sovereigns. Wie viel Wittwen würde es daher geben, wenn Herr von Kieseleff seine Pässe forderte, und zugleich „seinen Russen“ die ihrigen zustellte. Trotz alledem ist Paris noch voller Lust und Jubel und amüsirt sich besonders an den Vaudevilles, die mit jedem Tage schlüpfriger und sittenloser werden. Es ist dort schon so weit gekommen, daß die Theater förmlich zu Ausstellungen weiblicher Reize benutzt werden. Eine junge Schauspielerin, welche sich weigerte, das ihr bestimmte Costüm anzuziehen und die ihr zugewiesenen zweideutigen Couplets zu singen, wurde von dem Handelsgerichte verurtheilt, ihre Reize dem Parterre nicht vorzuenthalten oder 1000 Franken Entschädigung zu zahlen. Die Schauspielerin war arm, wollte nicht im Schuldthurm sitzen, also ..... Onkel Tom hat auch in Frankreich viele Millionen Thränen entlockt, daß aber in ihrer eigenen Hauptstadt Menschenhandel und Seelenverkauf getrieben wird, daran denkt Niemand.




Verbrecher-Colonie. Der erste Versuch einer Verbrecher-Colonie in Preußen wird jetzt ganz in der Nähe Berlins, nämlich bei dem Dorfe Pichelsdorf, etwa eine Viertelmeile diesseits Spandau, gemacht werden. Man ist bereits beschäftigt, daselbst die Fundamente zu einer weitläufigen Baulichkeit zu legen, welche bestimmt ist, etwa 350 aus den Strafanstalten zu Spandau und bei Moabit entlassene Gefangene aufzunehmen. Die Gebäude werden mit einer hohen Mauer umgeben und der Austritt aus dem so befriedigten Rayon wird den Bewohnern nur unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen gestattet sein. Der Uebertritt der Gefangenen aus den genannten beiden Strafanstalten nach abgelaufener Strafzeit wird kein erzwungener, sondern ein freiwilliger sein; er kann nur dann erfolgen, wenn der Uebertretende sich verpflichtet, fünf Jahre lang in der Kolonie zu verbleiben und den daselbst geltenden Hausgesetzen und Reglements sich zu unterwerfen.

Die Beschäftigung der Colonisten kann, wie sich aus der Lage der Colonie und bei der verlockenden Nähe der Hauptstadt ziemlich von selbst versteht, nicht wohl in freien Arbeiten, namentlich nicht, wie es vielleicht am wünschenswerthesten wäre, vorzugsweise in Feld- und Gartenarbeit bestehen, sondern es wird die Fabrikarbeit darin vorherrschend sein. Wie wir hören, hätte ein Fabrikant Voigt aus Berlin die Beschäftigung der Colonisten mit Dreh- und Schnitzarbeiten und ihre Anlehrung dazu übernommen. Zur Ausführung des Projekts hat der Staat einen Zuschuß von 30,000 Thalern bewilligt.




Ein frommer Roman. In der bekannten Agentur des Rauhen Hauses ist soeben unter dem Titel: Eritis sicut deus. ein dreibändiger Roman erschienen, der zusammen nicht weniger als 68 Bogen zählt. Die Verlagshandlung bläst in ihrer Ankündigung gewaltig in die Trompete und meint, daß seit Langem auf dem Gebiete der Literatur keine gleich bedeutsame Erscheinung an die Oeffentlichkeit getreten sei. Der vorliegende Roman sei keiner von denen, die ihr Geschick an der Stirne trügen, um gelesen und vergessen zu werden, sondern habe Anspruch auf eine bleibende Stelle in der Literatur und gehöre der Zukunft an. Er enthülle vor uns die ganzen Geheimnisse des gegenwärtigen Kampfes, nicht dogmatisch oder doktrinär, sondern in einem großen, tiefeinschlagenden, die geheimsten Falten des Menschenherzens durchdringenden, die ganze Seele bewegenden Drama. Das Buch werde an den Vielen die Mission erfüllen, welche in jenem Geisteskampfe, hüben und drüben, als Führer, Geführte oder Verführte, siegend oder unterliegend, mit betheiligt seien. - Das Wenige, was wir in diesem Buche lesen konnten, ist allerdings von einer grauenvollen Frömmelei.




Flora im Winterkleide. so heißt ein von dem Verfasser der „Briefe aus der Menschenheimath,“ Professor Roßmäßler, soeben erschienenes Buch, auf das wir unsere Leser, die an den schönen „Briefen“ unseres Blattes schon lange ihre Freude hatten, hiermit aufmerksam machen wollen. Für die meisten Freunde der Natur, besonders die Botaniker, fällt mit dem letzten Baumblatte und mit Beginn des Winters eine Scheidewand nieder zwischen sie und der Pflanzenwelt, welche erst von dem Schneeglöckchen wieder hinweg geläutet wird. Roßmäßler reißt diese Wand nieder. Indem er uns an kundiger Hand hinaus in den erstarrten Wald führt, liefert er in seiner liebenswürdigen und stets instruktiven Weise den Beweis, daß es selbst dem Despotismus des Winters niemals gelingen kann, die nimmerruhende Flora ganz zu bändigen. Die Beschreibung der Pflanzen, welche im Winter fortleben, die mikroskopischen Schönheiten derselben, die reizenden Gebilde der Flechten, Moose, Pilze, das stille Leben der Blatt- und Blüthenknospen - das Alles weiß Roßmäßler auf eine so populäre und ansprechende Art vor unsern Blicken zu entfalten, daß man den Winter selbst draußen im Walde fast lieb gewinnen möchte. Das Büchlein ist wie ein Festgeschenk geschmackvoll ausgestattet und mit 150 erklärenden Abbildungen verziert.




Der Hund ist toll! In der vergangenen Woche wurde in London eine Bande jugendlicher Diebe verhaftet, die sich einen ganz neuen, wirklich scharfsinnigen Plan für ihre Operationen ausgesonnen hatte. Drei oder vier von der Gesellschaft wandern zusammen durch die Straßen, nebenher läuft ein großer Hund, dessen Ansehen schon hinreicht, eine furchtsame Seele in Angst zu setzen. Wo eine Hausthür offen steht, springt der Hund auf ein gegebenes Zeichen in das Haus, läuft Trepp’ auf und Trepp’ ab, die Bewohner, namentlich die Frauenzimmer, in Furcht versetzend. Letztere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_507.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)