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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Er hat ihn nicht erlebt. Am 15. Oktober 1852 ist er hinüber gegangen – wie die Nationalzeitung von ihm rühmt – in die unendliche Walhalla, unmittelbar hinter dem eisernen Herzog aus England und dem Spanier Castannos nicht in deutschthümlicher, sondern in recht weltbürgerlicher Gesellschaft. Der Kampf um die gute Sache, das Ringen nach größerer Freiheit und hellerem Licht ist einmal ein gemeinsamer für ganz Europa. Thue Jeder das Seine, wie der „Alte im Barte“ es gethan, der nicht auf den Weltgeist gewartet, sondern geredet, geturnt, geworben und getrieben. Jahn hat ehrlich gewollt und redlich gestrebt. Sein Gedächtniß wird man in Deutschland in Ehren halten!

E. B. 




Blätter und Blüthen.

Ein Zusammentreffen. Bei der letzten Zusammenkunft der Kaiser von Oestreich und Rußland in Olmütz befanden sich dort auch der englische Gesandte Lord Westmoreland, Fürst Paskjewitsch und Graf Nesselrode. Bei einem Gespräch erzählte Lord Westmoreland, daß er Augenzeuge gewesen, wie General Miloradowitzsch 1814 nach dem Gefecht bei Belleville vor Paris in dem Augenblick, wie er von den erkämpften Höhen Paris vor sich liegen sah, einer Batterie den Befehl gab, vorzurücken und einige Schüsse auf Paris zu thun, wobei er ausrief: „Vor mit der Artillerie! Wir wollen wenigstens die Freude haben, ein Paar russische Kugeln nach Paris zu schicken.“ – Als die Schüsse geschehen waren, sah General Miloradowitzsch den Offizier an, welcher die Batterie kommandirte und sagte. „Welch ein Zusammentreffen! Das ist derselbe Offizier, welcher den ersten Schuß bei Moskau that, als die französische Armee vor zwei Jahren ihren Rückzug antrat.“ – Der Fürst von Warschau hatte diese Erzählung ruhig mit angehört und sagte dann: „So erlauben Sie mir zu diesem sonderbaren Zusammentreffen noch hinzuzufügen, daß jener Artillerie-Offizier Paskjewitsch hieß und daß er in diesem Augenblick die Ehre hat, die 1814 auf den Höhen von Belleville gemachte kameradschaftliche Bekanntschaft zu erneuern.




Montesinos. Es dürfte in diesem Augenblicke in ganz Europa kaum ein Mann leben, der in so hohem Grade die Bewunderung und dankbare Verehrung aller Menschen verdiente, als Derjenige, dessen Namen gleichwohl die meisten, wenn nicht alle meine Leser hier zum ersten Male durch die Ueberschrift kennen lernen. Denn wer verdient mehr unsere Dankbarkeit, als derjenige, der die Glieder der menschlichen Gesellschaft, welche in der großen Mehrzahl als unnütze, weil ein- oder einige Mal schädlich gewesene, rein angefaulte Früchte weggeworfen werden, mit treuer Menschenliebe aufsammelt und zu heilen versucht?

Dies aber ist die Krone, welche heller als irgend welches Diadem strahlt auf dem Haupte von Montesinos, Direktor des Gefängnisses von Valencia in Spanien.

Im Jahre 1827 übernahm er dieses Amt. Er überkam das Gefängniß in dem trostlosesten Zustande. Seine frühere Thätigkeit stand nicht mit seiner neuen in irgend einer Beziehung. Er hatte keine Polizei- oder Criminalcarriere gemacht. Er hatte keine Reisen durch die europäischen Strafanstalten (ja wohl Strafanstalten!) gemacht, wo er auch fast nur negativ hätte lernen können.

Er brachte in sein neues Amt nichts mit als ein warm und edelfühlendes Menschenherz, einen festen, klaren Willen und – eine tüchtige umfassende Bildung.

In dem ersten Jahre seiner Amtsführung bildete sich sein System aus, ganz aus sich selbst, gestützt auf die genannten drei Grundsäulen seiner bewunderungswürdigen Persönlichkeit.

Nachdem sein System in seinem Geiste und – Herzen klar und vollendet vor ihm stand, hielt er und hält er noch jetzt daran fest; denn es ist eines seiner wirksamsten Mittel, eine unabänderliche Festigkeit des Verfahrens.

Nach wenigen Jahren war das valencianische Gefängniß aus einer Zwingburg trotziger, roher, fauler, unwissender Menschen eine blühende Werkstätte gesitteter, höflicher, fleißiger, wißbegieriger Arbeiter.

In der umfänglichen Anstalt findet man Werkstätten aller Art. Neben den mannichfaltigsten, wie man dem Ansehen nach glauben möchte, mit vielen Gesellen arbeitenden, gewöhnlichen Handwerken findet man eine Lithographie, Druckerei, Sammtweberei, Seidenweberei, Wagenfabrikation, Vergolderei, Eisengießerei und Anderes.

Schulstunden und reiche Gelegenheit zur Fortbildung und geistigen Unterhaltung sind in zweckmäßigster Führung vorhanden. Jährlich lernen zwischen 200 und 300 lesen und schreiben.

Montesinos darf nach dem code pénal theilweise Kostentziehung und Prügel – wodurch man sich anderwärts erzieherisches Kopfzerbrechen erspart – anwenden; er hat es aber nie gethan, weil, wie er sagt, erstere der Gesundheit nachtheilig ist und letztere entsittlichen.

Im Jahre 1836 hatte sich im spanischen Bürgerkriege Cabrera in einem Gebirge festgesetzt, wo 400 Mann aus dem valencianischen Gefängnisse am Bau einer neuen Straße beschäftigt waren. Montesinos fürchtete, daß der carlistische General Alles aufbieten werde, um sich dieser Leute für sein Heer zu bemächtigen. Er machte sich zu ihnen auf den Weg. Allein und unbewaffnet trat er plötzlich unter sie. An achtzehn hatte sich seine Besorgniß bereits bestätigt, die unter Anführung eines Aufsehers zu Cabrera gegangen waren. Die übrigen 382 folgten ihm auf unwegsamen Gebirgspfaden, um der Wachsamkeit des Carlistenführers zu entgehen, nach Valencia. Der Valencianer spricht noch mit Rührung von dem langen Zuge von „Verbrechern,“ welche man ihrem Direktor ruhig in ihr Gefängniß folgen sah.

Als man nach etwa einer Woche eines Tages früh die Thore der Anstalt öffnete, standen vor demselben – 14 von jenen Abtrünnigen, vollständig bewaffnet, aber zerlumpt und abgerissen. Sie waren mit Lebensgefahr aus Cabrera's Reihen geflohen und baten jetzt um Wiederaufnahme. Es fehlten noch 4. Drei davon kamen nach weiteren 4 Tagen und zuletzt auch der achtzehnte, der Anführer, ein alter Mann mit grauen Haaren, der mit Scham und Reue um Wiederaufnahme in die Anstalt bat.

Neben dieser Thatsache, deren man in Valencia noch manche ähnliche erzählt, bedarf es keines weiteren Beweises, daß Montesinos den Verbrecher zu heben versteht.

Seine Anstalt ist aber auch kein verschlossenes Geheimniß für die Außenwelt. Namentlich an den besuchteren Markttagen strömen schaarenweise die Landleute durch die hellen, freundlichen Räume und segnen staunend den darin waltenden Geist.

Und das Ergebniß von des edeln Montesinos Mühe? –

Anderwärts schwankt die Zahl der Rückfälligen zwischen 40 und 50.

Bei ihm zwischen 1 und 2.




Brotpreise. In England, wo ein Silbergroschen erst ein Pfennig ist, bekommt man doch für 6 Pence (5 Sgr.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_519.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)