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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

das schöne Geschlecht bildet sich dann wirkliche Geistergeschichten ein. Nichts ist interessanter, als sich einen Missethäter vorzustellen, der ganz säuberlich sein Weib erdrosselt, das er wirklich lieb hat! Vierzehn Tage kann man davon träumen. Man beneidet das Loos des Opfers, man möchte nur ein einziges Mal eben so geliebt sein, und wäre es auch nur, um einmal davon zu kosten! Ah Lacenaire! Leider werden wir nicht sobald seines Gleichen bekommen! Der Mensch hat Verse gemacht!“ rief August aus und seine Stimme verrieth eben so viel Bewunderung als Bedauern. Er war galant, interessant und sprach sehr gut. Nur zwei Prozesse wie der seinige und ich könnte mich von meinem Geschäfte zurückziehen! Wenn nur die verdammten Sitzungen mit geschlossenen Thüren für gewisse Verbrechen erlaubt wären! da liegen ganze Reichthümer begraben! Ich könnte Millionär werden. Die ganze Welt möchte welche sehen, das ist die Geschichte mit der verbotenen Frucht.“

Eine Art Gespenst, das in einem schwarzen Kleide fackelte, zugeknöpft bis an den Hals, trat in die Schenkstube; seine Beine wackelten wie Orgelpfeifen; es war sein Schreiber. Dieser Mensch vertritt Herrn August, wenn dieser mehrere wichtige Geschäfte hat, rekrutirt für ihn Kunden und verschafft ihm Geschäfte, denn Herr August verbindet mit seiner Stellung auch die Beschäftigung eines Vertreters beim Friedensrichter und verfaßt Bittschriften und Memoiren an’s Ministerium.

Der Spitz, so heißt dieser Gehülfe, hat mehrere Saiten auf seiner Geige. Sobald ein Verbrechen bekannt wird, eilt er auf den Schauplatz desselben, sammelt die Gerüchte, erzählt die Umstände, giebt seine Adresse in den nahegelegenen Weinschenken ab, wiederholt hundert Mal diese Umstände, erfindet welche im Nothfalle, bis man sie wiedererzählt; das gelangt bis zum Magistrat; der Untersuchungsrichter läßt ihn kommen, hört seine Geschichten an und oft sind dieselben nicht zwei Sous werth. Wenn man ihn auch nicht weiter brauchen kann, so bekommt er doch seine zwei Francs dafür. Ich bin überzeugt, daß der Kerl auf’s Evangelium vor Gott und den Menschen schwören würde, daß der Hund, der einen Hasen abgefaßt hat, nicht angefangen hat, sondern daß die Schuld auf Seiten des Hasen war. Und die Hasen haben ein so zänkisches Naturell! Und das ist eigentlich sehr traurig, aber es ist so!

Dieser Mensch untersteht sich nicht, seinem Patron Concurrenz zu machen, denn dieser hat es gar nicht mehr nöthig, die Assignationen zu erbetteln, er kauft sie jetzt und bezahlt sie theurer als der Kassirer des Justizpalastes. August duldet keinen Rivalen, er führt einen unversöhnlichen Krieg gegen diese. Er hat sein kleines Vermögen zusammengescharrt und wird sich bald in die Provinz zurückziehen, um dort eine kleine Race ehrlicher Leute auf die Welt zu setzen.

Als wir uns von August verabschiedeten, blickte er uns mit seiner triumphirenden Miene an und sagte zu seinen Bewunderern: „die habe ich eingetunkt!“

Wirklich hatte er Recht: wir waren verblüfft!




Blätter und Blüthen.

Abdul Medjid, der jetzt regierende Sultan, führt selbst die Oberaufsicht über die verschiedenen Schulen in Constantinopel und besucht persönlich die zahlreichen Prüfungen, nach welchen die Fortschritte der Schüler ermessen werden. In einer großen Halle, mit militärischen Trophäen geschmückt und mit wissenschaftlichen Instrumenten jeder Art versehen, warten hundert junge Männer, oft von fünfzehn zu zwanzig Jahren alt, bescheiden auf den Sultan, den sie eben so sehr lieben wie verehren. Kein Geräusch findet unter ihnen statt – kein Geschwätz – kein Gelächter; alle Augen sind nach dem Thron gewendet, der in der Mitte des Gemaches steht und noch leer ist.

Endlich erscheint Abdul Medjid und setzt sich nieder - in seiner Nähe die Scheiks, die Ulemah’s, die Minister und die ersten Pascha’s. Jeder Zögling tritt in seiner Reihe zu dem Throne vor und antwortet auf die Fragen, welche ihm von einem der Professoren vorgelegt werden, von einem der Minister oder auch wohl vom Sultan selbst. Die Fragen beziehen sich auf Mathematik, Literatur und Kunst. Wenn Abdul Medjid eine Frage stellt, so geschieht dies mit der größten Freundlichkeit. Wenn der Schüler richtig antwortet, erheitert ein leichtes Lächeln das Gesicht des Sultans; begeht er einen Irrthum, so verbessert diesen der Sultan mit Nachsicht und ohne den geringsten Vorwurf. Wenn die Prüfung beendigt ist, werden den Schülern, welche sich besonders ausgezeichnet haben, Belohnungen gegeben.


Talma. Der berühmte französische Schauspieler, der Lehrer Napoleon's, gab manchmal auch Gastrollen in den Provinzen, so einmal auch in Lyon, wo Madame Lebreau als Directrice mit einer ziemlich unordentlichen Bande ordentliche Tragödien gab. Der Schauspieler, welcher die „nobeln Väter“ zu geben hatte, wollte Talma gegenüber sein Fach nicht aufgeben, obgleich er sehr schwer nüchtern zu erhalten war. Es sollte „Semiramis“ gegeben werden, worin der Trunkenbold den „hohen Priester“ zu geben hatte und Talma den Arsoces. Man nahm dem „nobeln Vater und hohen Priester“ ein Versprechen ab, sich vor Ende des Stücks nicht zu betrinken; aber ehe der Vorhang aufging, lag er schon betrunken in seinem Ankleidezimmer. Die Directrice, in Furcht, das Entrée wieder herausgeben zu müssen, stürzte zu ihm und zwang ihn, ein Glas Wasser zu trinken, was ihn furchtbar erbitterte. Das Stück begann nun und Talma erschien, gefolgt vom „hohen Priester“, der nun in den Fall kam, würdig zu antworten. Aber er schwankte und stotterte, half sich aber noch mit Geistesgegenwart aus der Verlegenheit, indem er das Parterre anredete: „Meine Herren. Madame Lebreau war so barbarisch, mich zu einem Glase Wasser zu zwingen. Sie sehen nun selbst ein, daß ich meine hohe priesterliche Würde nicht aufrecht erhalten kann. Ich habe zu viel Achtung vor Ihnen, als daß Sie mir zumuthen sollten, mit einem Glase Wasser im Magen den Orsoes vor Ihnen zu spielen. Hier, Arsoces! (zu Talma) sind Brief, Schwert und Alles, was ich Ihnen erst im vierten Acte hätte übergeben müssen, um den Knoten zu lösen. Machen Sie’s gleich ab. Bedenken Sie auch hübsch, daß Madame Semiramis Ihre gesetzmäßige Mutter ist und schlichten Sie die ganze Tragödie anständig und schnell. Ich für meinen Theil gehe nach Hause und zu Bett, um mich von dem Glase Wasser zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_543.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)