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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Die Vöglein schweigen im Walde,
Warte, nur balde
Ruhest du auch!“

Er trocknete sich die Thränen und rief: „Ja, warte nur, balde ruhest du auch.“

„Am folgenden Morgen“ – so schließt das Werk von Lewes, – „am 22. März 1832 versuchte er etwas im Zimmer auf- und abzugehen, doch fühlte er sich zu schwach. Er setzte sich in seinen Lehnstuhl und plauderte heiter mit Ottilie (der Wittwe seines einzigen Sohnes) von der Heilkraft des kommenden Frühlings. Ottilie saß vor ihm und hielt ihm beide Hände. Er begann zu phantasiren. „Sieh,“ rief er, „welch’ lieblicher Mädchenkopf – mit schwarzen Locken – in glänzenden Farben – dunkler Hinterwand!“ Jetzt sah er ein Stückchen Papier am Boden und fragte, wie man Schiller’s Briefe so nachlässig umherliegen lassen könne (Schiller im letzten Augenblicke). Jetzt schlief er und träumte von Skizzen, die er beim Erwachen wieder sehen wollte. Seine Sprache wurde undeutlicher. Das letzte vernehmliche Wort war: „Mehr Licht!“ Die Nacht des Endes trat heran, und er, dessen ewige Sehnsucht „mehr Licht“ gewesen, widmete ihr den letzten Athem. Er fuhr dann fort, sich durch Zeichen auszudrücken, schrieb Briefe mit dem Zeigefinger in die Luft und – schwächer – auf die Decke, die seine Füße verhüllte. Halb zwölf Uhr rückte er sich bequemer im Lehnstuhle. Die Wächterin legte den Finger auf ihre Lippen zum Zeichen, daß er schlafe. Wenn es Schlaf war, so war’s ein Schlaf, in welchem ein Leben von dieser Welt schied. Er erwachte nicht wieder.“

Er wird nie sterben. Die neue Biographie hat seine unsterblichen Schöpfungen vielen Millionen aufgeschlossen.



Eine untergegangene Stadt.[1]
(Mit Abbildung.)
Von Bursian.

Unter allen den Resten des Alterthums, die der mütterliche Schooß der Erde geborgen und vor der Zerstörung durch den Fanatismus christlicher Eiferer oder die Rohheit barbarischer Völker geschützt hat, ist nichts in solchem Grade geeignet, die Theilnahme des Beschauers zu erregen, als die Ruinen der im Jahre 79 nach Christi Geburt durch einen furchtbaren Ausbruch des Vesuvs verschütteten, jetzt durch die seit 1748, freilich mit ächt neapolitanischer Trägheit, fortgesetzten Ausgrabungen in ihrem dritten Theile wieder an das Tageslicht gerufenen Stadt Pompeji. Denn hier breitet sich vor unsern Blicken das reiche und mannigfache Bild des häuslichen sowohl als öffentlichen Lebens eines durch Handel reichen und von kunstsinnigen Bürgern bewohnten römischen Städtchens aus dem ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung aus; und auch der Nichtgelehrte, der die Herrlichkeit und geistige Tüchtigkeit des Alterthums weder aus seiner Geschichte, noch aus den von ihm hinterlassenen Schrift- und Bildwerken kennt, wird beim Anblicke dieser wohl ummauerten Stadt mit ihren schön gepflasterten Straßen und Plätzen, zierlichen Wohnhäusern, säulenreichen Tempeln und weiten Theatern, nicht blos von kalter Bewunderung ergriffen, sondern belebt unwillkürlich diese öden Räume mit Gestalten und fühlt sich heimisch in der Umgebung einer vor Jahrtausenden untergegangenen Kultur. Da stört ihn plötzlich der gellende Pfiff einer Locomotive in seinen Träumen: der von Neapel kommende Bahnzug ist an der Station Pompeji angelangt, und ich steige mit meinen Lesern aus dem Eisenbahnwagen, um sie von Gegensatz zu Gegensatz, aus dem unruhigen Treiben des neunzehnten Jahrhunderts zu dem mitten in seinem Gange aufgehaltenen und gleichsam zu Stein erstarrten Leben des Alterthums zu führen.

Die Strecke, die wir durch des Dampfes Kraft in 11/2 Stunden von Neapel aus durchflogen haben, gehört zu den schönsten Gegenden der Welt, Die Bahn läuft durch eine ununterbrochene Reihe blühender Städtchen: Portici, Resina (unter dessen Häusern eine andere alte Stadt, Herculanum, in den Banden zu Felsen erstarrter Lava schmachtet), Torre del Greco und Torre dell’ Annunziata; zur Linken hat man den hohen Kegel des Vesuvs, über dessen Spitze immer ein leichtes weißgraues Wölkchen schwebt, zur Rechten den herrlichen Meerbusen von Neapel, den im Süden das Felseiland Capri, weiter westlich die bedeutend größere Insel Ischia, deren Spitze, der Epomeo, auch einst ein jetzt erstorbener Vulkan, hoch in die Wolken ragt, und daneben das lange und schmale Procida abschließen: über sich den tiefblauen, durch keine Wolke getrübten Himmel des Südens. Während im Alterthum Pompeji unmittelbar am Ufer des Meeres lag, ist dieses jetzt in Folge der durch den vulkanischen Ausbruch bewirkten Erhöhung des Bodens um eine bedeutende Strecke zurückgewichen. Schon der Bahnhof ist eine Viertelstunde vom Strande entfernt, und eben so lange Zeit braucht man noch, um von hier aus zu den mit Gebüsch bewachsenen Höhen zu gelangen, unterhalb deren die bis jetzt aufgedeckten Ruinen sich ausbreiten. Die Kruste, welche man hinwegräumen mußte, um zu diesen zu gelangen, und welche noch 2/3 der Stadt birgt, besteht aus abwechselnden Lagen von feiner schwärzlicher Asche und Bimstein und hat eine Dicke von ziemlich zehn Ellen. Die Grabungen wurden nur in den ersten Jahren nach der Entdeckung, und dann unter der Herrschaft Murat’s mit Eifer betrieben; die jetzige Regierung läßt fast nur, wenn fürstliche oder sonstige hohe Personen zum Besuch anwesend sind, nach denen dann meist die in ihrer Gegenwart aufgedeckten Häuser benannt werden, graben: für alle anderen Besucher ist die Stelle, wo gegraben wird, unzugänglich,

Werfen wir nun, um ein Gesammtbild zu erhalten, von der Höhe an der Südseite einen Blick auf die unter uns liegende Stadt, so erblicken wir ein Netz von größentheils geraden, in rechtem Winkel einander durchkreuzenden Straßen, hier und da unterbrochen durch freie von Säulenhallen oder Mauern umgebene öffentliche Plätze. Schnell schweift der Blick über die meist kleinen, die Straßen zu beiden Seiten abschließenden Privathäuser, die jetzt öde mit ihren nackten Wänden, ohne Dach und Fach, wie ausgebrannt dastehen: aber hier und da bleibt er haften auf den ihrer Kronen beraubten Säulenstümpfen, die noch Zeugniß geben von der Herrlichkeit der Tempel, deren Dächer sie stützten, auf den Theatern, deren steinerne Sitzreihen leer und an vielen Stellen ausgebrochen, sich über einander erheben, endlich auf den doppelten, einen Erdwall einschließenden Ringmauern, die nach griechischer Weise aus großen Bruchsteinen ohne Mörtel erbaut, aber schon im Alterthume vielfach mit Mauerwerk aus kleinern, durch Mörtel verbundenen Steinen ausgebessert, durch Brustwehren und Thürme vertheidigt, die Stadt an allen Seiten, mit Ausnahme der Südseite, auf der wir stehen, umschließen, und in ihrer ganzen Ausdehnung offen gelegt sind, während noch der größere Theil der von ihnen umschlossenen Gebäude unter Weingärten und Maulbeerpflanzungen versteckt liegt.

Steigen wir nun von unserm Standpunkte auf einem Hügel der Südwestseite in die Stadt hinab, so durchwandeln wir zuerst eine breite, aber nicht lange Straße, die, wie alle Straßen der Stadt, mit großen, vieleckig behauenen Lavaplatten gepflastert, zu beiden Seiten mit Rinnsteinen und erhöhten Trottoirs für die Fußgänger versehen ist. Zu unserer Rechten treffen wir, nachdem wir an einigen kleineren Gebäuden vorüber geeilt sind, die lange Seitenmauer eines großen Gebäudes; eine Thür in derselben ladet uns ein„ das Innere zu betreten. Wir befinden uns in einem weiten, an drei Seiten von Mauern umgebenen, an der Vorderseite in fünf nur durch Säulen getrennten Zugängen geöffneten Raume, dessen Inneres durch vier Reihen von gewaltigen Säulen, die mit den drei Wänden und den Säulen der offenen Vorderseite parallel laufen, in drei Schiffe getheilt ist. An die beiden langen


  1. Wir haben diese schöne Vogelansicht von Pompeji mit Erlaubniß des Verlegers dem Prachtwerke von Overbeck: „Pompeji in seinen Gebäuden, Alterthümern und Kunstwerken“ entnommen, auf das wir unsere Leser, so wie alle Kunstfreunde überhaupt hiermit aufmerksam machen. Es ist das Ausführlichste und durch seine schönen Illustrationen auch das Instruktivste, was noch über Pompeji erschienen.
    D. Red. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_011.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)