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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 2. 1856.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Vorurtheile.
(Fortsetzung.)

Die Natur hatte Ludwig mit dem großen Vorzuge eines angenehmen Aeußern beschenkt; seine heitere, ruhige Stirn, der Schnitt seines ausdrucksvollen Gesichts und seine ungekünstelten, edeln Bewegungen hatten in dem Herrn von Heiligenstein, den eine schmerzliche Erinnerung an die Familie Nienstedt fesselte, ein persönliches Interesse für ihn erweckt. Und Ludwig mußte den Mann mit dem ehrlichen Gesichte und dem offenen Wesen lieb gewinnen, zumal da sich ihm noch keiner so vertraulich genähert hatte. Der junge Mann stand einsam in der Gesellschaft, die er im zarten Jünglingsalter verlassen hatte, es traten ihm unbekannte Gesichter, andere Menschen entgegen.

„Sie haben Ihr Heimathland in glücklichen Verhältnissen wieder betreten,“ begann Herr von Heiligenstein theilnehmend.

„Ja, mein Herr, und diese Verhältnisse machen mich um so glücklicher, da ich sie mir und keinem Andern zu verdanken habe.“

„So nehmen Sie die Versicherung, Herr Baron, daß ich mich Ihres Glückes innig freue.“

Ludwig reichte ihm die Hand.

„Und nehmen Sie dafür den Dank meines erfreuten Herzens. Ich darf wohl mit Recht die Vermuthung hegen, daß meine rasche und heimliche Entfernung zu mancherlei Annahmen Veranlassung gegeben?“ fragte Ludwig, indem er seinen Gesellschafter schmerzlich lächelnd ansah.

„Gewiß, Herr Baron, Annahmen, die nur Ihren jugendlichen Leichtsinn tadelten, weil er Ihren alten, guten Aeltern einen tiefen Kummer bereitete. Sie waren der einzige und letzte männliche Erbe der Familie Nienstedt, die, wenn sie auch mit zeitlichen Glücksgütern nur karg gesegnet war, dennoch eines Rufes sich erfreute, der sie den ersten Adelsfamilien Deutschlands beigesellte. Ich war der Freund Ihres Vaters, und oft hat er mir sein bekümmertes Herz eröffnet. Ihre Entfernung zerstörte ihm den Plan, den er mühsam erdacht und eingeleitet, um seiner Familie die frühere Geltung wieder zu verschaffen. Ich weiß nicht, ob er Ihnen je eine Andeutung davon gegeben hat –“

„Nie, nie!“ sagte Ludwig eifrig. „Sie wissen es, mein Herr – und wenn ich Sie nun bitte, mir jetzt diese Andeutung zu geben – –“

„Ich halte es selbst für meine Pflicht, Herr Baron, Ihnen Alles mitzutheilen, was mir über diesen Punkt bekannt ist. Vielleicht gelingt es mir, zur Verwirklichung des Planes, den Ihr verstorbener Vater entworfen, etwas beizutragen.“

„O, reden Sie, reden Sie, mein Herr!“

„Zuvor aber gestatten Sie mir eine Frage, welche ich aus Gründen voranschicken muß, die ihnen bald einleuchten werden. Sind Sie verheirathet, Herr Baron?“

„Nein!“

„Sie haben auch sonst kein Versprechen gegeben, das Sie bindet?“

„Eben so wenig, mein Herr!“ antwortete Ludwig ein wenig verlegen.

Dem Fragenden entging diese Verlegenheit nicht.

„Verzeihung,“ sagte er lächelnd, „wenn ich indiscret erscheine; aber der Drang, Ihrer Familie zu nützen, die mir theuer ist –“

„O, ich bitte, mein Herr, fahren Sie fort!“ sagte Ludwig, den die Neugierde verzehrte.

„Ihr Vater also hatte den Plan gefaßt, Sie in Ihrem zwanzigsten Jahre zu verheirathen, und zwar mit der Tochter eines Hauses, das fähig war, zur glänzenden Fortpflanzung Ihres Namens Alles beizutragen. Es waren alter Adel und ein großes Vermögen vorhanden. Die Einleitungen waren dem Abschlusse nahe gediehen, als Sie verschwanden, und einen Brief zurückließen, der wenig Beruhigendes hatte, da er weder den Zweck noch das Ziel Ihrer Abreise anzeigte. Zwei Tage nach diesem Ereignisse betrat ich das Schloß Nienstedt. Ihr Vater war trostlos, und mit Thränen in den Augen bekannte er mir, daß die Hoffnung, den Rest seiner Tage ruhig zu verleben, zerstört sei. Noch mehr: später theilte er mir mit, daß er seinem Ruine nicht vorbeugen könne, da Sie ihm das einzige Mittel dazu entzogen hätten. Herr Baron, ich verhehle es nicht, daß ich, der ich nur ein kleines Vermögen besitze, auf eine Morgengabe von Adelheid’s Hand gerechnet hatte. Diese Enttäuschung aber hielt mich nicht ab, mich mit meiner Geliebten öffentlich zu verloben, und Ihrem Vater die kleinen Summen zur Verfügung zu stellen, deren er zur Deckung der dringendsten Schulden bedurfte. Wir stellten inzwischen Nachforschungen nach Ihnen an, und erhielten die Gewißheit, daß Sie in Hamburg zu Schiffe gegangen seien, um Europa für immer zu verlassen. Umsonst fragten wir nach dem Grunde, umsonst forschten wir in Göttingen, wo Sie den Brief geschrieben, der Ihre Abreise angekündigt – Sie studirten Cameral-Wissenschaft – weder eine Person noch irgend ein Umstand vermochte das seltsame Räthsel zu erklären. Man gab überall Ihrem ehrbaren und ruhigen Charakter das beste Zeugniß, Gram und Leid warfen Ihren Vater auf ein langes Krankenbett. Zwei traurige Jahre verflossen, und es war wohl natürlich, daß Adelheid nicht an ihre Verbindung denken konnte, sie war ja die einzige Stütze, die einzige Pflegerin des alten gebeugten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_017.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)