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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Pariser Bilder und Geschichten.
Ein Verbannter.

Victor Hugo.

Es war im Jahre 1825, als Karl X. einem jungen Poeten von zweiundzwanzig Jahren eine Audienz gewährte, der dem Monarchen eine Krönungsode überreichte. Herr von Chateaubriand, der unerschütterlich treue Freund der Bourbons, der später demselben Karl X., da ihm der Julisturm die Krone vom Haupte geschlagen, freiwillig, unaufgefordert in die Verbannung gefolgt, Herr von Chateaubriand war auch zugegen. Der König durchlief die gereimten Zeilen, und überreichte das Manuscript dem berühmten Verfasser des „Geistes des Christenthums“, der sich etwas rückwärts an der Seite des Königs hielt. Nachdem Herr von Chateaubriand das Poem gelesen hatte, frug der König:

„Nun, was halten Sie von diesem jungen Manne?“

„Sire,“ antwortete der Befragte, „es ist ein erhabenes Kind (un enfant sublime).“

Dieser junge Mann war Victor Hugo; dieses Wort als Geleitsbrief, begann er seine dichterische Laufbahn, die so reich an Widerwärtigkeiten und Erfolgen, so reich an Kämpfen und an Siegen werden sollte.

Die Kindheit Hugo’s war eine bewegte, reich an wechselnden Bildern, an tiefgehenden, wunderbaren Eindrücken.

Er ist zu Besançon im Jahre 1803 geboren, und folgte in einem Alter von fünf Jahren seinem Vater, der General im Dienste des damaligen Königs von Neapel, Joseph Bonaparte, war, nach Italien und später nach Spanien. Seinem Vater, als Gouverneur der Provinz Avellino, ward die Aufgabe, den berühmten Räuberhauptmann Fra Diavolo, der zu jener Zeit seine abenteuerlichen Streiche spielte, zu besiegen, die er vollkommen lös’te. Bilder und Ereignisse, die an dem Kinde vorüberzogen, mußten nothwendig auf dessen Einbildungskraft wirken, um sich später in dem Poeten als Erinnerungen zu beleben.

Im Jahre 1809 kam der kleine Victor mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern nach Frankreich zurück, und da begann seine wissenschaftliche Ausbildung, die Ausbildung seines Herzens, dem die zarte Liebe, die hingebende Wachsamkeit seiner Mutter eine heilsame Pflege gewährte. Das alte Kloster der „Feuillantines“ nahm die Familie auf, die sich in stiller Zurückgezogenheit ein freundliches Dasein gestaltete, das zwei Jahre dauerte. An diese Zeit und an diesen Aufenthalt knüpfen sich die ersten zwei Erfahrungen des Knaben von verschiedener Bedeutung, die bis in ein reifes Alter hinein ihre Geleise zogen.

Er gewann eine kleine Freundin seines Alters, mit der er sich im Garten umhertummelte, und die ihm später eine liebende, eine geliebte Gattin wurde. Außerdem traten ihm die blutigen Wehen seines Landes, die verderbliche Parteileidenschaft, der unvertilgbare, unausgleichbare Zwiespalt, dem schon viele große, heilige Opfer gefallen, in einem Geächteten entgegen. Der General Lahorie, in den Prozeß Moreau verwickelt und legitimistischer Bestrebungen angeklagt, suchte in dem Hause der Frau Hugo, einer echten Vendeerin, einen Versteck und Schutz vor den Verfolgungen der kaiserlichen Polizei. Zwei Jahre lang blieb der Flüchtling den Blicken der Häscher verborgen und es gereichte ihm zum Zeitvertreib, dem kleinen Hugo von seinem Wissen mitzutheilen, der sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_021.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2017)