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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 7. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Blind und doch sehend.
Von Elfried von Taura.
(Fortsetzung.)

Um die zwölfte Stunde verließen auch die beiden Freunde das Kaffeehaus. Rudolf begleitete Adolf bis an dessen Wohnung und nahm hier Abschied von ihm. Der Gedanke aber an das Ziel, dem der Freund entgegenreiste, machte auch in seinem Herzen sehnsüchtige Wünsche, in seinem Geiste liebliche Träume wach, Er konnte noch nicht schlafen gehen, es trieb ihn dahin, wo die holde Blinde schlummerte, Lange stand er träumend vor dem Gefangenenhause, dann machte er noch einen Spaziergang und kam erst kurz vor ein Uhr zu Hause an. Da er seinen Hausschlüssel nicht bei sich hatte, mußte er den parterre wohnenden Hauswirth wecken, der sich nicht wenig über seines sonst „mit den Hühnern das Nest suchenden“ Miethers späte Heimkunft verwunderte. –

Der Tag war längst angebrochen, und Rudolf lag noch in gaukelnden Morgenträumen, in denen die Blinde nicht die letzte Rolle spielte, als ihn ein starkes Geräusch vor seiner Thür weckte. Eh’ er sich noch recht ermuntert hatte, füllte sich das Zimmer mit Beamten und Dienern der Sicherheitsbehörde.

„Sind Sie der Doktor Grimm?" fragte der Führer derselben, und auf Rudolf’s verwundertes „Ja,“ erklärte der Beamte: „So sind Sie mein Gefangener.“

„Um Gott – wie komm’ ich dazu?“ fragte Rudolf erbleichend.

„Das werden Sie wohl wissen,“ antwortete Jener.

„Ich weiß in der That von keiner Schuld, die ein solches Verfahren gegen mich rechtfertigte -“

„Das wird sich finden – jetzt kleiden Sie sich an und folgen uns."

„Aber was ist denn geschehen? Was soll ich denn gethan haben? Das muß man mir doch wenigstens zu wissen thun!“

„Nun, so will ich’s Ihnen sagen, Ihre Tante, die Wittwe Kreller in der Schmiedegasse, ist ermordet gefunden worden!“

„Gerechter Gott!“ rief Rudolf schaudernd. Er war lange nicht fähig, etwas zu thun. Endlich kleidete er sich unter dem Beistande der Polizei an, und ließ sich halb willenlos in das Gefängniß führen, das er heute in einer ganz andern Angelegenheit zu besuchen gedacht hatte. –


III.
Die Untersuchung.

Das Kind der Fritschin war in der Nacht kränker geworden und hatte es der Mutter unmöglich gemacht, zwischen zehn und ein Uhr zu ihrer Pathe zu gehen. Als sie um diese Zeit an das Haus der einsamen Frau gekommen, hatte sie lange vergeblich an die Jalousien geklopft. Endlich war sie an die Hausthür gegangen und hatte diese zu ihrem Befremden unverschlossen, den Schlüssel steckend gefunden. Da hatte sie augenblicklich Verdacht geschöpft, Rudolf könne in der Nacht zu seiner Tante zurückgekehrt sein, und wer weiß, was da geschehen war! Unschlüssig, was thun, war sie an der Thür gestanden, als der Nachtwächter sich in der Nähe gezeigt hatte. Diesen, den sie gut kannte, hatte sie herbeigerufen, ihm ihren Argwohn mitgetheilt und ihn aufgefordert, sie in das Haus zu begleiten. Er war sogleich bereit gewesen, sie waren hineingegangen und hatten das Zimmer ebenfalls unverschlossen gefunden. Darin eingetreten, hatten sie mit ihren Laternen umher geleuchtet, ohne etwas Verdächtiges zu sehen. Dann hatte die junge Frau die im nahen Alkoven schlafende Wittwe gerufen. Umsonst. Da waren die Beiden hineingetreten und hatten die Alte in ihrem Bette erdrosselt gefunden. Nachdem die Fritschin sich von ihrem ersten Schrecken erholt, hatte sie unter das Kopfkissen der Gemordeten gegriffen und die Hand mit dem Ausrufe hervorgezogen:

„Das kann nur er gewußt haben!"

Der Wächter hatte ihr Erklärung über diese Worte abverlangt, und als sie diese gegeben, sie aufgefordert, ihm zum Polizeicommissar des Bezirks zu folgen. Das war geschehen. Der Polizeicommissar hatte die Beiden nach dem Schauplatze des gräßlichen Verbrechens begleitet, den Befund festgestellt und die Frau in’s Verhör genommen. Dabei hatte sie nach und nach Alles erzählt, was am Tage zwischen der Ermordeten und ihrem Neffen vorgegangen. Dies war dem Polizeibeamten genug gewesen, um Rudolf der That verdächtig zu halten. Er hatte den Wächter und die Fritschin entlassen, Zimmer und Haus verschlossen und sich dann nach Rudolf’s Wohnung begeben, wo er den Hauswirth geweckt und von diesem erfahren hatte, wenn sein Miethsmann heimgekommen. Darauf war der Beamte auf das Polizeiamt geeilt und hatte hier den Vorfall mit dem Ergebniß seiner Nachforschungen zur Anzeige gebracht. Der funktionirende Polizeirath hatte an die Schuld des ihm nicht ganz fremden jungen Arztes nicht glauben wollen, daher war die Verhaftung desselben so lange unterblieben, bis der Sergeant Huker nach Ausschlafung seines Rausches erschienen war, und durch Erzählung des Gespräches, das er im Garten der Mutter Brummeisen belauscht, den Verdacht des Commissars bestätigt hatte. Da war endlich der Verhaftsbefehl gegeben worden, der, wie wir gesehen, pünktlich vollzogen ward.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_085.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)